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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Auglein eines
furchtsamen und sehr gierigen Tierchens. Im Mund der Glanz einer Goldkrone auf
dem oberen Dreier, die Zunge, die auf einen kurzen Ausflug hervorgeschnellt ist
und dann den Zierzahn zärtlich streift. Etwa drei Monate vor der zu diesem
Zeitpunkt noch ungeplanten Hochzeit war Stefan zum Zahnarzt gegangen und hatte
was investiert: Diese Arbeit, die würde bis ins Grab halten, erklärte er Jadzia
mit breit aufgerissenem Mund. Jadzia stellte sich plötzlich vor, wie blöd Stefans
Schädel aussehen würde, wenn er keine Haut und Muskeln mehr hätte, aber immer
noch dieses klappernde Gebiss, in dem immer noch dieser Goldzahn glänzen würde.
Er war beleidigt, weil sie kicherte, denn er hatte in der Privatpraxis von
Doktor Jedwabny gewaltig blechen müssen, und anstatt zum Beispiel zu sagen:
Ist dir schon aufgefallen, dass Ingenieur Waciak auch eine Goldkrone hat?
kichert sie sich eins ins Fäustchen. Sie versöhnten sich danach im Badezimmer,
im Stehen, weil sie damit rechneten, dass Haiina jeden Augenblick von der
Nachbarin Grazynka Rozpuch zurückkommen würde. Stefan gefiel das, aber Jadzia
nicht, sie musste die ganze Zeit an diesen goldenen Hauer denken, der ihrem
Verlobten gesprossen war und den er in ihren Hals bohren könnte. Nicht genug
damit, dass jede Romantik fehlte, sie riss sich auch noch eine Laufmasche, die
so lang war, dass man sie nicht wieder aufnehmen konnte. Damals war sie
bestimmt schwanger geworden, und dann ging alles genau nach Stefans Plan.
Nichts als Verluste.
    Der Aufzug funktioniert noch nicht
in ihrem Haus auf Piaskowa Göra. Jadzia schnauft, zieht den Bauch ein, der nach
der Geburt noch groß und schlaff ist wie ein alter Wasserball, und steigt die
Treppen hinauf bis fast ganz nach oben. Auf dem neunten Stock heben die
Gattenarme sie mit einem Schwung hoch und tragen sie über die Schwelle in die
vierzig Quadratmeter große Leere; dort riecht es nach frischem Putz und PVC, es
ist so schön. Mach die Augen auf, Dziunia! jault Stefan wie ein goldzahniges
Hündchen. Was für einen Ausblick du hier hast! Ausblick auf den Himmel, auf
andere neue Blocks rechts und links und geradeaus. Stefan öffnet das Fenster,
und fast saugt der Wind ihn hinaus. Mit dem herausgerissenen Fenster in den
ausgestreckten Armen würde er wie ein Segelflugzeug bis in die DeDeEr oder die
BeErDe fliegen. Doch im Unterschied zu Jadzia weiß er, wo sein Platz ist, er
stemmt die Füße auf den Boden und knallt das Fenster zu. Die Hauptsache aber
ist die Zentralheizung, nie wieder Kohleneimer schleppen. In den Keller kommen
nur Kartoffeln für den Winter und Gläser mit Gurken. Dziunia? Jadzia nickt
bejahend. Ihr ist ganz schwindlig vom Ausblick auf Menschen wie Ameisen, auf
die glänzenden Panzerchen der Autos, die Fenster gegenüber, die sie anstarren,
wo lauter Jadzias sich spiegeln, schwanken, sie wie Fische hinter den Scheiben
ihres Aquariums aus hervorquellenden Augen anglotzen. Hoch wie in einem Storchennest,
sagt Jadzia, und zum ersten Mal im Leben wird ihr klar, dass sie sich fortan
nach der Erde sehnen wird. Plötzlich begreift sie, dass ein Grund für ihre
Traurigkeit das fehlende Gras unter ihren Füßen ist, und mit ebenso plötzlicher
Klarheit erstrahlt unter der erschlafften Pracht ihrer Frisur die Erinnerung an
den Garten in Zalesie.
    Hoch! freut sich Stefan, hoch
hinaus muss man wollen, wenn die arbeitende Bevölkerung eine Chance bekommt.
Das gäbe es nicht ohne den Sozialismus, ohne Lenin und die anderen bekäme man
nicht eine solche Wohnung oder die Gutscheine für Jungverheiratete. Stefan
findet den derzeitigen Parteisekretär Edward Gierek einen anständigen Kerl,
zumal er ja auch Kumpel ist. Er hat was Stattliches, er kann reden und man
sieht ihm die Ehrlichkeit an der Nasenspitze an. Die anderen, erklärt er
Jadzia, die wollen sich doch nur an die Fleischtöpfe machen, sich den Bauch
auf Staatskosten vollschlagen und sich überallhin kutschieren lassen. Aber
nicht Gierek. Als der gefragt hat: Werdet ihr helfen?, da hat Stefan ganz
feuchte Augen gekriegt. Dann träumte er von Gierek, in dem Traum war Gierek er
selbst und er, Stefan, war irgendwie so, aber nicht ganz, als wäre er Jadzia,
ein bisschen jedenfalls, und wenn er aufwachte, schämte er sich. Dieser Gierek!
Was für ein Prachtmensch, der Vater des Volkes. Das war ein guter Rat, den
Ingenieur Waciak ihm gegeben hatte, als er gesagt hatte: Tritt der Partei bei,
da verlierst du nichts, und er bekam den Parteiausweis. Stefan steht

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