Bator, Joanna
Suppe finden konnte, die Blätter waren löchrig wie ein
Sieb. Und Wladek Chmura pflückte gern Sauerampfer, wie seine Mutter es ihm
beigebracht hatte, nur die obersten zarten Blätter. Sie hatte ihm erklärt,
dass man wählerisch sein kann, wenn man wie sie den Sauerampfer nur des
Geschmacks wegen pflückt und nicht aus Not. Schau, Wladek, was für schöne
Blätter der hier hat! sagte sie, und wenn sie redete, war es wie ein Gesang.
Und hier gab's nicht mal Sauerampfer. So eine Weltreise hatten sie gemacht, um
hier zwei Stock über dem Erdboden zu wohnen, mit anderen Leuten zusammen, von
denen die einen ihnen und sie den anderen über den Köpfen herumliefen und wo
man sogar die Kartoffeln kaufen ging, anstatt die eigenen auszubuddeln.
Am Anfang aber buddelten alle,
wenn auch nicht nach Kartoffeln. Den ganzen Hof des Hauses rissen sie auf, weil
sie suchten, was die Deutschen dort vergraben haben sollten. Jeder grub in
Gedanken nach etwas anderem. Nach einem silbernen Besteck, wie es die
Großmutter bei Sambor der Enkelin hatte schenken wollen, aber nicht mehr dazu
gekommen war und es deshalb auf Nimmerwiedersehen im Garten vergraben hatte.
Wenn man das, was dort vergraben worden war, hier wieder ausgraben würde, das
wäre Gerechtigkeit. Die Goldrubel, die auf den Freikauf der leider bereits
übergeschnappten Tante draufgegangen waren, diese Rubel müsste man
zurückbekommen, sie müssten in der Walbrzycher Erde warten, sodass man sie nur
abwischen und einmal draufbeißen müsste, um sicherzugehen, dass der Schein
nicht trog. Was war das für eine Buddelei überall! Zuerst stürzten alle zum
Fürstenschloss, durch den Buchenwald, denn es ging das Gerücht, dass die
Deutschen dort das Bernsteinzimmer versteckt hatten. Deshalb rissen sie die
Fußböden heraus, klopften die Wände auf und fraßen sich in die Stuckdecken,
zwei ertranken im Schlossbrunnen, einer blieb in einem Kanalisationsrohr
stecken, doch sie fanden nichts als ein paar Türklinken aus Messing und
verbogene Löffel aus der Schlossküche. Danach hieß es, die Deutschen seien ja
nicht so blöd, an einem derart augenfälligen Ort wie dem Fürstenschloss etwas
zu vergraben. Woanders hatten sie den großen Schatz versteckt, irgendwo lag er
im Sand vergraben wie eine Kartoffelknolle und in Lumpen gehüllt, sie hatten
bestimmt einen prima Platz gefunden, da gab es kein Vertun. Sie waren ja
schließlich ein ordentliches Volk und würden ihr Gold nicht an irgendeiner
x-beliebigen Stelle vergraben, wo jeder Bauer es finden konnte. Denn der
Schatz, und daran hatte niemand irgendwelche Zweifel, war sehr kostbar und
wartete in der Walbrzycher Erde auf den kühnen Finder. Wer ihn findet, der wird
bis an sein Lebensende ausgesorgt haben, und was für einen Neid würde er
wecken! Was es da nicht alles geben würde! Goldmark und Silberleuchter,
Schatullen, die geradezu platzten vor Perlen, Rubine wie Tretminen, der Schmuck
von Eva Braun und Hitlers persönliche Preziosen, die von ganz unvorstellbarem
Wert waren, Heiligenfiguren, groß wie gefüllte Sonntagshühnchen, vollgestopft
mit irdischen Gütern, die sich verkaufen ließen. Deshalb rutschten die Leute
auf den Knien und gruben in der Hoffnung, dass sie hier zum Trost für das, was
sie zurücklassen mussten oder nie besessen hatten, etwas anderes ausgraben,
sich zu etwas anderem durchgraben würden, was ihnen helfen konnte, auf die
Beine zu kommen. Und seien es auch nur ein paar Zloty! Sie gruben nachts beim
Schein von Kerzen und Petroleumlampen, sie gruben mit Bergmannslampen auf der
Stirn, jeder war seines Nächsten Feind, es kam wohl auch vor, dass Blut floss,
wenn ein Grabender dem anderen in die Parade fuhr. Sie holten Hellseher mit Wünschelruten
und Zigeunerfrauen, die in ihren langen Röcken über die Höfe gingen und durch
die Goldzähne spuckten. Sie gruben den ganzen Hof am Haus von Haiina und
Wladek um, gruben unter den Fundamenten des Nachbarhauses, rissen die Böden aus
den Holzverschlägen, gruben die verwilderten Schrebergärten um und buddelten
unter dem Asphalt, bis er einsank. Die Allereifrigsten gruben, bis man sie
nicht mehr sehen konnte. Sie hinterließen nichts als einen langen engen Gang,
aus dem Wolken von Erdklümpchen flogen, und lamentierende Ehefrauen und kamen
selbst irgendwann mit leeren Händen auf der anderen Seite des Erdballs heraus,
dort blinzelten sie in eine Sonne, die zweimal so hell war wie in Walbrzych,
und betrachteten verblüfft die australischen Kängurus und Pelikane.
Weitere Kostenlose Bücher