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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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Speckfalte, die über den Bund eines von ihr
genähten Rockes quoll. Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm sie zwischen
die Lippen wie ein Säugling die Brustwarze und vertiefte sich in das Bild,
dessen Sinn ihr lebenslang unklar blieb.
    Unter dem Einfluss eines
tschechoslowakischen Kräuterlikörs, den Grazynka von irgendwem für etwas bekommen
und zum Dank für das Umnähen eines Saumes mitgebracht hatte, erzählte Haiina
ihr in einer Anwandlung von Offenherzigkeit von dem Zirkusartisten Wowka, vor
Wladek Chmura der erste und einzige Mann in ihrem mit erotischen Abenteuern
spärlich bestückten Leben. Mit einem Russki hast du gevögelt! lachte Grazynka,
einem russischen Akrobaten hast du den Arsch hingehalten! Vulgäre Ausdrücke
aus ihrem Mund störten Haiina nicht, ja, sie sagte sie ihr sogar nach: Ja, ich
hab ihm den Arsch hingehalten, na und, und sie musste husten vor Lachen,
zeigte dabei Zähne, die so bläulich und scharf waren wie Hühnchenknochen.
Wowka hatte Augen wie Wasser mit blauer Farbe drin und konnte russische
Romanzen singen, und Haiina war damals die kleine Haluska, die Tochter von
Zdzislaw und Scholastyka Czeladz, kaum schreibkundigen Bauern in einem Dorf
bei Grodno, die außer ihr noch vier weitere Kinder hatten, diejenigen nicht
mitgezählt, die im Säuglingsalter gestorben waren, denn wer außer dem Herrgott
würde die schon mitzählen. Haiinas Eltern besaßen ein Stück sandigen Boden, das
der Sohn Franciszek erben würde, und sie hatte, da sie ein Mädchen war, einen
sandfarbenen Zopf und eine Zukunft in Gestalt irgendeines Sohnes anderer Leute,
der am besten auch etwas erben und sie dann zur Frau nehmen würde.
    Haiina hatte sein Gesicht sehen
wollen, das Gesicht ihres zukünftigen Mannes, und dazu gab es nur eine Methode
- eine Luftfahrt. Jedes Mädchen in ihrem Dorf hatte mindestens einmal eine
solche Fahrt gemacht, und mochte der Ehemann schließlich nicht ganz mit dem
Bild übereinstimmen, das ein Mädchen gesehen hatte, so unterschied er sich
doch auch nicht so sehr davon, dass man die Geister der Lüge hätte bezichtigen
können. Als Haiina fünfzehn Jahre alt war, ging sie zusammen mit anderen
Mädchen - der roten Maschka, der hinkenden Aldonia und Hanka mit den schwarzen
Zöpfen, zum zugefrorenen Fluss, der hart und glatt war wie ein Tisch. Was
mussten sie sich abmühen, bis sie ein Eisloch gebrochen hatten! Als das Wasser
heraussprudelte und sich das Auge des Flusses öffnete, breiteten sie eine
Pferdehaut darüber, und Aldonia, die Älteste, wies sie an, sich Rücken an
Rücken in einen Kreis zu setzen und einander an den Händen zu fassen. Im
schwachen Licht der Kerze rief die Popentochter Aldonia mit einer ihrem Vater
abgehörten brunnentiefen orthodoxen Kirchenstimme den Geist herbei, er solle
aus dem Eisloch steigen, sie zu ihren zukünftigen Männern führen, ihnen ihre
Gesichter zeigen. So melodisch trug Aldonia ihre Bitte vor, so klagend flehte
sie, dass Haluska schon bei den ersten Worten spürte, wie das Pferdefell zitterte
und sich zum Flug anschickte, und im nächsten Augenblick hielt sie sich
krampfhaft an einem von Hankas schwarzen Zöpfen fest, denn sie flogen durch die
eisige Luft, und die Sterne pulsierten wie Blasen mit blauen Spiritusflämmchen
darin. Aldonia sah einen Studenten aus Grodno, Hanka - den Janek aus dem
Nachbarhaus, Masza ein Kloster und Haiina einen Tanzbär.
    Wowka, Tierbändiger in einem fahrenden
Zirkus, brach ihr das Herz, machte ihr einen dicken Bauch und verschwand aus
ihrem Leben, während sie das alles mit sich machen ließ, weil sie jung und naiv
war, was miteinander einhergeht, doch das sagte sie Grazynka nicht mehr, denn
dafür floss der Kräutertrank der Offenherzigkeit nicht stark genug. Wowka, für
den Haiina die Beine breit gemacht hatte, hüpfte um den Bären herum, und das
Tier kratzte sich den räudigen Bauch, bis Schuppen und Haare rieselten. Das
gefiel dem Dorf, besonders aber den jungen Leuten. Los nu, tanzy, tanzy,
svolotsch du; der Akrobat sprang in die Höhe wie von einer Feder hochgeschnippt,
lief im Kreis und stupste das trippelnde Tier, und Haiina (jung und naiv), die
zwischen den Gaffern stand, hatte das Gefühl, dass jeder seiner Sprünge sie mit
sich riss, dorthin, wo sie noch nie gewesen war. Wowka konnte nicht nur singen
und Balalaika spielen, er konnte auch auf den Händen laufen und Salto schlagen.
Seine Haare waren braun wie Kartoffelschalen und igelkurz geschnitten, er trug
ein gestreiftes Zirkuskostüm und

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