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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
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schaute sie an. Da nahm Haluska ihren Mut
zusammen und erwiderte seinen Blick, was ihr wiederum bescherte, dass sie beim
Tanz im Dorf die Erwählte war, und dann gedieh es weiter. Wowka hüpfte beim
Tanzen vertikal um sie herum, und sie, sechzehnjährig, die Wangen mit roten Rüben
angemalt und in einem fast neuen rosa Kleid mit Perlmuttknöpfen, das sie von
Fräulein Leosia auf dem Gut bekommen hatte, wo sie sich zur Erntearbeit
verdingt hatte, und mit Ohrringen aus Katzensilber, die kleine blaue Steinchen
hatten, sie dachte, wie es wohl wäre, aus ihrem Leben hinauszuspringen und
nicht hier zu sein, sondern ganz woanders, und nicht allein, sondern mit
jemandem. Sogar ihre steifen sandfarbenen Zöpfe, die über den Ohren zu
Schnecken gesteckt waren, sahen hübsch aus, und zufällig ganz besonders in dem
Augenblick, als Wowka sagte, sie seien hübsch. Noch nie hatte jemand Haiina
Komplimente gemacht oder sie für hübsch gehalten, ganz im Gegenteil, sie war
die hässlichste, weil die dünnste und blasseste der vier Schwestern. Die
Schwestern mit ihrem Wangenrot und ihren schwarzen Zöpfen starben jedoch an
Wundrose, während sie, immer kränklich und zu Skrofeln neigend, überlebte, zum
Ärger und Erstaunen der Eltern und des älteren Bruders Franciszek. Wie hätte
sie Wowka zurückweisen können, als er sie beim Tanz so an sich drückte und dann
mit ihr und keiner anderen zum Abkühlen an den Fluss gehen wollte, sie wusste
nicht einmal mehr, wann die schillernden Perlmuttknöpfe abgesprungen und im
Gras erloschen waren.
    Der Zirkus fuhr davon, hinterließ
auf der zertrampelten Wiese einen helleren Fleck von dem runden Zelt und an
Haiina einen zusehends runderen Bauch, der ihr Leben sehr bedrückte. Alle
hofften, wegen ihrer Schwächlichkeit würde sie es nicht austragen, doch auch
das Stemmen von Heuballen, das Wasserschleppen vom Brunnen und nicht mal die
Prügel, die ihr der Vater zu diesem Anlass verabreichte, konnten dem Bauch
etwas anhaben. Er wuchs spitzig und stand immer mehr hervor, wie ein Kamelhöcker
auf ihrem schmalen sehnigen Körper.
    Als Haiina ohne größeren Schaden
für sich und das Kind die Schwangerschaft bis zum Schluss durchgestanden und
entbunden hatte, wiegte man sich in der Hoffnung, der Bankert würde nicht
überleben, weil er genauso mager auf die Welt gekommen war wie seine Mutter und
die Nabelschnur ihm die Luft abgedrückt hatte. Er war so klein, dass die
Hebamme ihn wie ein Kätzchen auf den Handteller nahm und verwundert erklärte,
sie entbinde doch jetzt seit vierzig Jahren, aber so ein Scheißehäufchen habe
sie noch nie gesehen. Es gibt ja Kartoffeln, die größer werden als dieses
Bastardchen! Stefan wuchs langsam, erst mit einem halben Jahr begann er einem
normalen Neugeborenen zu ähneln, und mit einem Jahr hatte er die Größe eines
sechs Monate alten Kindes. Doch er ging lebend aus allen Kleinkinddurchfällen
hervor und genas trocken und kühl wie eine Eidechse. Bis zum nächsten Durchfall
saugte er mit immer gleichem Eifer an dem in Mulltuch gehüllten Stück Brot
mit Zucker und Mohn, aus dem er genauso wenig heraussaugen konnte wie aus der
Brustwarze seiner Mutter. Drei Jahre lang machte Haiina sich vor, dass Wowka
aus der weiten Welt zurückkommen würde, wo er es zu etwas gebracht hätte, denn
das hatte er ihr ins Ohr geflüstert, als sie in jenem Sommer noch ein paar Mal
zu ihm auf die Wiese am Fluss ging, bis sie schwanger wurde, und er ihr sein
Versprechen gab, zurückzukehren, um dann schleunigst zu verschwinden und
ungeschoren davonzukommen. Ihr werdet euch noch wundern, sagte sie ihrer
Familie, die ihre Sentimentalität einerseits der schwachen Gesundheit
zuschrieb, andererseits den Gedichten, die das Fräulein vom nahegelegenen Gut
unbedingt den Kindern am Ort vorlesen wollte, obwohl davon sogar die Dümmsten
ganz durcheinander wurden im Kopf. Zum Glück wurde das Fräulein bald jemandem
zur Frau gegeben, sie hörte auf, sich außerhalb des Hauses zu betätigen, und
starb wenig später im Kindbett. In Haiinas Erinnerung jedoch lebte sie
unverändert weiter, so wie sie im siebzehnten Lenz ihres Lebens ausgesehen
hatte. Weiß und üppig wie aus fetten Quarkröllchen und in rosa Spitze
eingepackt, sitzt sie im Korbsessel und liest, sie liest aus einem Buch vor,
das aufgeschlagen auf ihren Knien liegt, und in Haiinas Kopf entsteht bei den
Worten der Gedanke, weit davonzufliegen, bis über den Gutswald hinaus, während
die weißen Schneebällchen laut platzen, die sie

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