Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandberg
Vom Netzwerk:
Vorschulkinder
vollzukotzen. Sie hatte solche Brechkrämpfe, als hätte sie die hübsch
getüpfelten Pilze verspeist, und zwar roh. Dieser Auftritt ruinierte Dominikas
Chancen auf sozialen Erfolg ein für allemal, und viele Tage lang war nun jeder
morgendliche Aufbruch davon begleitet, dass sie sich auf den Boden warf und so
zusammenkrümmte, dass sie steif war wie der Henkel eines Weidenkorbs, eine
Leistung, die Doktor Charcot begeistert hätte. Doch jeder Elternteil ist
letzten Endes immer stärker als eine untergewichtige Sechsjährige, und nach
einer gewissen Zeit gewöhnte sich Dominika an den Kindergarten, obwohl sie beim
Spiel der vier Panzersoldaten niemals Marusia oder Lidka sein durfte, sondern
höchstens der Hund Szarik. Tag für Tag entdeckte sie verschiedene wichtige
Dinge, die für ihr unmittelbares Wohlbefinden von wesentlicher Bedeutung
waren, bald zeigte sich, dass in dem neuen Zuhause die Wände leider nicht
essbar waren, denn wenn sie versuchte, wie bei der Oma mit dem Finger ein Loch
zu bohren, um nachts den Kalk herauszupulen und abzulecken, stieß sie auf den
harten Beton. Für diese Enttäuschung entschädigte sie die Badewanne, denn die
hatte es in Haiinas kaltem Badezimmer nicht gegeben. Eine Wanne, die so weiß
war wie der Sand auf Bula-Bula, man konnte sie bis zum Rand mit warmem Wasser
füllen, sich dann mit zwei Fingern die Nase zuhalten und so lange untertauchen
und den gedämpften Stimmen lauschen, bis man keine Luft mehr bekam. Unter
Wasser leistete ihr die Puppe Paulinka Gesellschaft, Oma Kolomotives
Abschiedsgeschenk. Der Puppe bekam das eindeutig nicht gut, ihre Haare
verfilzten und wurden dünner, das Gesicht verfärbte sich grün, der Mund bleichte
aus. Dominika öffnete die Augen und schaute in die offenen Augen der Puppe,
aus der Bläschen stiegen, sie zwinkerten einander einvernehmlich zu wie
Schwestern, während sich ihre Unterwasserstimmen zum Wiegenlied vom honigsüßen
Himbeermädchen verbanden, das ein leises Stimmchen summte.
    Stefan kaufte seiner Tochter eine
rosarote Tauchermaske mit Schnorchel, und von da an blieb sie so lange unter
Wasser, bis ihr kalt wurde oder ein Elternteil mit der Hand ins Wasser fuhr und
sie herausfischte, aufgeweicht und triefend, zusammen mit der Puppe, die aussah
wie eine Wasserleiche. Was sitzt du bloß immer im Wasser? fragte Stefan seine
Tochter, die prustend auftauchte, wenn er ins Badezimmer platzte und sie zum
Spaß unter Wasser kitzelte. Was das Schwimmen angeht, konnten Jadzia und Stefan
es nur »auf Warschauer Art«, mit dem Bauch im Sand, aber die Mutter akzeptierte
Dominikas Leidenschaft fürs Wasser in der Hoffnung, eine Verbündete im Kampf gegen
Schmutz und Bakterien zu finden. Irgendetwas in ihr hoffte auch
unvernünftigerweise, das Mädchen könnte vom dauernden Einweichen im Wasser
heller werden, erst recht, wenn man die Haare mit Kamille spülte. Wie sauber
du bist und wie gut du riechst! freute sie sich, wenn sie die wie Krepppapier
gekräuselten Hände und Füße der Kleinen abtrocknete. Die Hygenieleidenschaft,
die sie nach der Geburt der Zwillinge erfasst hatte, hatte sich beruhigt,
überkam sie nur noch in zyklischen Anfällen und war nicht mehr permanent
anwesend. Ein Streit mit Stefan, ein missratener Kuchen, eine Fahrt im
Autobus, wo sie den von einer anderen Person, schlimmstenfalls einer
unappetitlichen älteren Frau, angewärmten Platz einnehmen musste - jeder
einzelne solche Anlass konnte eine neue Attacke auslösen, und Jadzias Welt
wurde plötzlich räudig, und alles erschien ihr schmutzig und klebrig. Die
Wirklichkeit zerbarst in kleine Splitter wie die Fensterscheibe eines Autos,
von der Decke tropfte es schleimig, aus den Ritzen zwischen dem PVC quollen
Widerlichkeiten. Los, drängte Stefan, los, weg von hier, sonst wirst du mit
dem Wischtuch verdroschen, sagte er scheinbar im Scherz zu Dominika, aber das
außergewöhnlich hohe Timbre ihrer Stimme war für das Kind eine ebenso eindeutige
Warnung wie der Kübel mit heißem Wasser und der Essiggestank.
    Ergreifen wir die Flucht, Mama hat
wieder ihren Knall! rief Stefan, wenn er guter Laune war, dann nahm er seine
Tochter auf die Schultern und spielte der Besessenen die Flucht vor, indem er -
trappatrapp, trappatrapp - hinaus auf den Korridor galoppierte und dann Hals
über Kopf die steilen Treppenabsätze hinunter, dass die erstaunten Nachbarn
die Türen öffneten und durch den Spalt über der Kette hinausschauten. Ich bin
ein Schaukelpferd, das zu fliegen

Weitere Kostenlose Bücher