Bator, Joanna
die wie Gras wogten, wie Reihen von Gestalten, zwischen denen
Schwärme silbriger Fische huschten. Neugierig und vertrauensvoll schwamm sie
hinein, sie hätte dort bleiben können, wenn es nur ein bisschen wärmer gewesen
wäre. Sie kam aus dem Wasser, um sich unter dem Frotteetuch ein bisschen
aufzuwärmen, dann lief sie zähneklappernd wieder ins Meer. Wie ein Aal entwand
sich das nasse Kind Jadzias Händen, und wenn sie wieder in der trüben Suppe der
Ostsee verschwand, krampfte sich Jadzia das Herz in schrecklichen Ahnungen
zusammen. Schon sah sie den angespülten Leichnam vor sich, mit
sandverschmiertem Haar und von Fischen angefressenen Augen, doch das Meer gab
Jadzia ihre Tochter immer zurück. Erst am Ende des Urlaubs stellte sie fest,
dass das Mädchen, das jetzt aus dem Wasser kam, nicht mehr ganz dasselbe war
wie vor zwei Wochen, als es zum ersten Mal in die Wellen gesprungen war, denn
da, wo Dominika vorher zwei flache jungenhafte Warzen gehabt hatte, wölbten
sich jetzt weiche kleine Mirabellen. Mein Gott, ich bin alt und habe nichts
vom Leben gehabt, dachte Jadzia.
Bei der
Rückkehr nach Walbrzych stellten die Chmuras verwundert fest, dass der Babel
irgendwie das Gleichgewicht verloren und auf der einen Seite in den weichen Rücken
des Sandbergs eingesunken war. Die Gehsteigplatten hatten sich an dieser Stelle
hochgewölbt und verschoben, die Außenwand des Gebäudes überzog sich mit einem
Netz kleiner Risse wie die Haut unter Jadzias Augen. Der Fahrstuhl war wieder
steckengeblieben, und der darin festsitzende Jozek Stygar rief aus der Tiefe
des Schachts um Hilfe. Der Briefkasten hing an der gebrochenen Halterung von
der Wand herab, die Verschalung fiel in großen Placken ab, und an die Wand
hatte jemand geschmiert: Jude raus! und: Ich liebe Jagienka. Die urlaubsfrische
Familie Chmura teilte das Gepäck unter sich auf und stieg mit Verschnaufpausen
auf jedem Stockwerk bis in ihre neunte Etage hinauf, wo sie die von der Miliz
versiegelte Tür der einst von den Homo-dingsbums bewohnten Wohnung entdeckten.
Niemand wusste, was nach dem Verlust von Schnurrbart und Bewegungsfähigkeit in
den Händen mit dem Größeren, Namenlosen geschehen war, während Jeremiasz
Mucha, wie man im Babel tuschelte, angeblich wieder bei Warschau auf dem Land
lebte. Aufs Land schickte man abgenutzte Kleider und Geräte sowie Verwandte,
die in der Stadt zu nichts mehr zu gebrauchen waren, von Lähmungen
heimgesuchte oder auch nur krumm gewordene Omas, die zum tätigen Dienst an den
Enkeln nicht mehr taugten, Fernseher, die durch bessere Modelle ersetzt worden
waren, abgewetzte Teppiche, verschlissene Hemden, behinderte Kinder, wie das
vom Stiegenhaus Nummer sechs, das von Kopf bis Fuß mit einem schwarzen
Pelzchen bedeckt zur Welt gekommen war.
In die
ehemalige Wohnung der Homo-dingsbums zog bald Familie Sledz, die in den Babel
passte, als sei sie nie an einem anderen Ort gewesen oder sei einfach aus einer
Betonritze gesprossen wie ein Pilz auf einem kranken Baum. Die blonde Krysia,
Buchhalterin in einer Bergwerkskantine, und der stämmige Zdzislaw, ein
Bergwerksmechaniker, der sich auf den ersten Blick von seiner Frau nur durch
den Schnurrbart unterschied, welcher allerdings ordentlich, buschig und
zweifellos polnisch-männlich war. Wenn seine Frau noch Haarfarbe übrig hatte,
strich sie diese auf den frühzeitig ergrauten Schnurrbart des Gatten, aber das
war ihr Geheimnis. Mit ihrer Schrankwand und dem »Letzten Abendmahl«,
Sofagarnitur und einer Tochter namens Iwona, die in Dominikas Alter war,
gefielen sie den Chmuras auf Anhieb. Schade um die Leute, seufzte Stefan zum
Thema Homo-dingsbums, aber: Ende gut, alles gut. Die neuen Nachbarn schraubten
ein Namensschild an die Tür, auf dem in kursiven Buchstaben K. Z. Sledz stand,
und ließen den Pfarrer kommen, damit er ihnen Küche und Zimmer mit Weihwasser
segnete. Vielleicht, Hochwürden, auch das Badezimmer, für alle Fälle, mir ist
da irgendwie nicht wohl, bat Krysia, bedrückt von der traurigen Geschichte
der Vormieter. Der junge Kaplan Adam Wawrzyniak klatschte Weihwasser in jede Ecke
und ließ auch Wanne und Klobrille nicht aus. Ach, wie herrlich er segnete! Die
Pfarre der Unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria war die erste Stelle für
Kaplan Adas, und seine Stimme war erst dabei, sich zum priesterlichen Falsettchen
zu entwickeln. Noch roch er nicht nach Mief, noch konnte er sich die Namen
seiner Gemeindemitglieder merken, und es tat ihm um das Weihwasser nicht
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