Bator, Joanna
bewegen können. Sein
abgeschnittener Schnurrbart lag im Aschenbecher, besudelt zwischen den
Zigarettenstummeln. Die flüchtigen jugendlichen Straftäter, die wie harmlose
kleine Schwule wirkten, als die Homo-dingsbums sie in der Kneipe am Bahnhof
kennenlernten, hatten nicht nur die goldene Zahnbrücke und das unter dem
Bettzeug versteckte Geld mitgenommen, sondern auch zwei Herrenarmbanduhren. Den
Vorrat an Deodorants Marke »Basia«, zwei Kilo Zucker, vier Stück
Palmolive-Seife und eine leere Flasche »Old Spice«, die Jeremiasz Mucha als
Schmuck im Badezimmer aufgestellt hatte, machten sie ebenfalls zu ihrer Beute.
Die mit Blut geschriebenen Worte: Fickt die Schwulen! waren schon ganz
getrocknet, als es Jeremiasz Mucha gelang, sich zu befreien, ins Treppenhaus
zu robben und die Lepka zu Tode zu erschrecken, die gerade mit ihrem Pirat
Sträßchen gehen wollte, Pirat ist nämlich ein ganz normaler Name für einen
Hund.
Jadzia und
Stefan sahen nicht, wie ihre Nachbarn zwei Tage später in den Krankenwagen
getragen wurden, denn am Morgen nach jener Nacht brachen sie mit Koffern und
Plastiktüten voll Proviant in ihren ersten Werksurlaub an der Ostsee auf. Nach
zwei verregneten Wochen, in denen der Weg zum Strand von zertretenen Schnecken
mit gestreiften Häuschen übersät war und die Sonne kurz erschien, doch nur,
um gleich wieder zu verschwinden, sobald sich die Urlauber entkleidet hatten,
nach diesen zwei Wochen war die Erinnerung an die nächtlichen Ereignisse vor
der Abreise im Ostseestrand versickert. Jadzia hatte das Meer nicht sonderlich
beeindruckt, ihre ganze Aufmerksamkeit wurde vom Desinfizieren des Gemeinschaftsbadezimmers
in Anspruch genommen, das sich in dem nach der Herkunftsstadt der Urlauber
benannten Urlaubsheim befand. Man hätte sich im UH Walbrzych I ganz wie zu
Hause fühlen können, wäre nicht dieser Dreck gewesen. Die anderen Urlauber hatten
sich gegen Jadzia verschworen, sie hinterließen Haare im Waschbecken und
Urintropfen auf dem Holzfußboden im Klosett. Ich könnte schwören, dass die sich
verschworen haben, stöhnte sie zornig und stellte ihrer gleichgültigen Familie
die sie peinigende Frage, ob diese Schmutzfinken jetzt wohl wieder unter der
Dusche gepinkelt hatten, und jedes Schamhaar auf dem Weiß der Kachelglasur
legte sich für Jadzia zu einem existenziellen Fragezeichen. Sie ging ins
Badezimmer wie zur Schlachtbank, mit ihren Plastiklatschen schlappend und mit
Lysol, Gummihandschuhen und Essig bewaffnet. Für Dominika dagegen war das Meer
eine Offenbarung. Als sie es erblickte, war ihr, als hätte es auf sie gewartet,
als hätte es darauf gewartet, dass sie den Weg zurück zu ihm fand, den Weg nach
Hause. Wie hatte sie ohne diese riesige Herrlichkeit leben können, und wie kam
es, dass es ihr wie etwas Langbekanntes erschien? Sie stand auf dem Sandstrand
und versuchte, das Meer mit dem Blick zu erfassen, es zu begrüßen, zu sehen,
wo es anfing und wo es endete, doch die Wellen kamen und gingen, und am
Horizont verfloss das Wasser mit dem Himmel. Nach dem Frühstück ließen sie
Stefan in dem verqualmten Fernsehraum zurück, wo er, die Flasche unter dem
Sessel versteckt haltend, bis zum Mittagessen auf den Wogen der langweiligen
Vormittagssendungen trieb, und sie selbst gingen an den Strand, um sich die
Lungen mit Jod zu füllen, wie Jadzia sich ausdrückte. In Walbrzych hielt sie
Dominika immer dazu an, durch die Nase zu atmen, hier jedoch umgekehrt - durch
den Mund. Dominika atmete und schwamm im Meer, egal wie das Wetter war. Sie
lief dem Meer blindlings entgegen, wie eine gerade geschlüpfte
Meeresschildkröte. Sie stürzte in die Wogen und tauchte prustend zehn Meter
weiter wieder auf, während Jadzia Todesängste ausstand und fürchtete, sie
könnte sie aus den Augen verlieren und durchs Megafon ausrufen lassen müssen:
Mädchen vermisst, etwa elf Jahre alt, bekleidet mit einem weißen Bikini und
grüner Schwimmhaube, zuletzt gesehen in Richtung Schweden kraulend. Dominika
stellte sich vor, wie sie zu den Schiffen schwimmen würde, die vor Anker lagen,
rechtzeitig die Fähre von Polferis erreichen, übers Fallreep hinaufklettern und
zu den Bula-Bula-Inseln segeln würde. Zur Begrüßung geben die Matrosen ihr Kokosmilch
zu trinken, schon ziehen sie den Landesteg ein, die Sirene tutet. Wir stechen
in See! Das Wasser war trüb und dunkel, und wenn Dominika mit offenen Augen und
angehaltenem Atem tauchte, bis ihr die Lungen wehtaten, sah sie längliche grünliche
Schatten,
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