BattleTech 44: Falke im Aufwind
früher nie als Retterin des Clans gesehen, aber nachdem dieses Bild einmal in ihrem Kopf aufgetaucht war, erkannte sie schnell, wie gut es die Lage wiedergab. All ihre jüngsten Aktionen, ihre Politik, ihre waghalsigen Unternehmungen hatten im Dienste eines einzigen großen Ziels gestanden: der Rettung des Clans der Jadefalken und dessen Rückkehr zu früherer Größe. Nein, nicht einfach nur einer Rückkehr. Sie würde ihn zu Höhen führen, wie sie die Falken nie zuvor gekannt hatten. Kein anderer Clan - die Vipern nicht, die Wölfe nicht und auch niemand sonst - würde den Aufstieg der Jadefalken auf einen Gipfel des Ruhms aufhalten können, der jenseits aller früheren Erfolge lag. Das war es, was sie erreichen mußte. Und genau das würde sie erreichen.
Hier und jetzt, im Anbruch des neuen Jahres, während draußen langsam der Lärm der Feiern verklang, konnte sie sich ernsthaft als diese visionäre Herrscherin betrachten. Und zugleich wußte sie, daß in Kürze die Realität wie ein unvermeidlicher Kater hereinbrechen mußte. Aber vielleicht befand sie sich ja auf einem vom Schicksal vorgezeichneten Weg, dessen Ende sie nicht einmal ahnen konnte. Es hatte einmal etwas mit jener Marthe Pryde zu tun gehabt, die in derselben Geschko wie Aidan Pryde aufgewachsen war, und das war alles, was sie darüber wissen wollte. Alles, was sie jemals darüber wissen wollte.
2
Geschko-Ausbildungszentrum 111, Kerenskywald, Ironhold
Kerensky-Sternhaufen, Clan-Raum
3. Januar 3060
»Lächele mich nicht an!« knurrte Naiad.
»Hab dich nicht angelächelt«, erwiderte Andi ge
lassen. »Nur gelächelt, ist alles.«
»Du lügst, Stravag.«
»Lüge nie, selbst häßliche Stravag.«
»Du hast mich Stravag geschimpft!«
»Du bist eine Stravag, und außerdem hast du mich
zuerst Stravag genannt!«
»Hat mich schon wieder Stravag geschimpft! Haben alle das gehört?«
Sie drehte sich zum Rest der Geschko um, deren
Mitglieder nach den Anstrengungen der vormittäglichen Ausbildung zum größten Teil auf ihren Pritschen lagen und sich erschöpft ausruhten. Idania,
Andis beste Freundin in der Geschko, meinte: »Hört
auf, euch zu streiten.«
»Du Freigeburt!« schrie Naiad sie an.
Idania, die auf der Bettkante gesessen hatte,
sprang hoch und ging auf Naiad los, aber Andi trat
zwischen die beiden Mädchen.
»Ich werde gegen sie kämpfen, Idania.«
»Nein. Ich!«
Die anderen in der Geschko murrten, mischten
sich aber nicht ein. Streitereien dieser Art waren alltäglich.
Andi beruhigte Idania, wie nur er es konnte, und
drehte sich dann wieder zu Naiad um, die unruhig
das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. In ihren grauen Augen war die Ungeduld klar
zu erkennen. Ihre Augen waren ein genaues Gegenstück seiner eigenen, so wie auch Naiads Gesichtszüge seinen und denen der übrigen Geschko
glichen.
»Na schön, Naiad«, stellte er fest. »Kämpfen wir.
Du und ich!«
Während er es sagte, wurde sein Grinsen noch
breiter. Naiad haßte Andi und dessen beleidigende
Fröhlichkeit. Er grinste viel zu viel, besonders jetzt,
bei der formellen Annahme ihrer Herausforderung,
sich im Kreis der Gleichen vor der GeschkoBaracke
zu messen.
Naiad konnte nicht lächeln. Frisch aus dem Brutkasten, als sie noch ein Säugling war und ohne Verstand, mochte sie vielleicht recht häufig gelächelt
haben. Sie hatte undeutliche Erinnerungen daran, von
einer alten Hexe versorgt worden zu sein, die keinerlei Gefühle für ihre Schützlinge aufbrachte. Aber
dank guter Ausbildung hatte diese Kanisteramme, so
der sarkastische Name für ihre Tätigkeit, die Nahrungsanforderungen der Säuglinge gestillt und deren
motorische Fähigkeiten entwickelt.
Man hatte sie recht schnell aus der Fürsorge der
Kanisteramme geholt und in dieses Ausbildungszentrum verlegt, wo sie unter der Aufsicht ihres Geschvaters Octavian standen, eines ehemaligen Kriegers, der die späten Jahre seiner Militärlaufbahn mit
der Leitung einer Ausbildungsgeschko verbrachte.
Gescheltern waren für den Aufbau der körperlichen
Fähigkeiten der Geschko verantwortlich und brachten ihren Mitgliedern bei, was es für einen Wahrgeborenen bedeutete, Mitglied des Clans und ein Krieger zu sein, auf dem Gipfel der Clangesellschaft zu
stehen. Irgendwann würde die Geschko dann an die
Falkner übergeben werden, unter deren Aufsicht die
Kadetten den letzten Schliff als Krieger erhielten. Ein anderer Punkt, der Naiad verärgerte, war die
Tatsache, daß Andi jetzt schon mindestens einen
Zentimeter größer war
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