Baudolino - Eco, U: Baudolino
waren, mit Lebensmitteln versorgt hatten, gab es genug, um die beiden zu stärken, einige liefen gleich los, um den weiter vorn Marschierenden die frohe Kunde zu bringen, und als Friedrich zwei Tage später die Tore von Pavia erreichte, fand er die Honoratioren der Stadt und seine Getreuen vor, die ihn in großer Zahl erwarteten, noch ohne es recht glauben zu können.
Auch Beatrix war da, schon in Trauer gekleidet, da man ihr gesagt hatte, dass ihr Gemahl tot sei. Sie hielt ihre beiden Kinder an der Hand, den bereits zwölfjährigen Friedrich, der jedoch wegen seiner angeborenen Krankheit nurhöchstens halb so alt aussah, und Heinrich, der dafür die ganze Kraft seines Vaters geerbt hatte, an jenem Tag aber ganz verstört weinte und immer nur fragte, was passiert sei. Beatrix entdeckte Friedrich von weitem, lief ihm schluchzend entgegen und umarmte ihn leidenschaftlich. Als er ihr sagte, dass er sein Leben Baudolino verdanke, bemerkte sie dessen Anwesenheit, wurde erst über und über rot, dann leichenblass, dann brach sie in Tränen aus, und schließlich streckte sie nur die Hand vor, bis sie seine Brust in Höhe des Herzens berührte, und rief den Himmel an, ihn gebührend für alles, was er getan hatte, zu belohnen, wobei sie ihn Sohn, Freund und Bruder nannte.
»Genau in diesem Augenblick, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino, »habe ich begriffen, dass ich, indem ich meinem Herrn das Leben rettete, meine Schuld beglichen hatte. Aber gerade deshalb fühlte ich mich nicht mehr frei, Beatrix zu lieben. So wurde mir klar, dass ich sie nicht mehr liebte. Es war wie eine verheilte Wunde, ihr Anblick rief dankbare Erinnerungen in mir wach, aber er ließ mich nicht mehr erzittern, ich spürte, dass ich ihr nahe sein konnte, ohne zu leiden, dass ich mich von ihr entfernen konnte, ohne Schmerz zu empfinden. Vielleicht war ich endgültig erwachsen geworden, und alle Glut der Jugend war erloschen. Ich empfand kein Bedauern darüber, nur eine leichte Melancholie. Ich fühlte mich wie eine Taube, die schamlos geturtelt hatte, aber nun war die Zeit der Liebe vorbei. Es wurde Zeit, aufzubrechen und übers Meer zu reisen.«
»Du warst keine Taube mehr, du warst eine Schwalbe geworden.«
»Oder ein Kranich.«
16. Kapitel
Baudolino wird von Zosimos reingelegt
Am Samstag morgen kamen die Genueser Pevere und Grillo, um zu melden, dass in Konstantinopel allmählich wieder eine Art von Ordnung einzukehren beginne. Nicht so sehr, weil sich der Hunger auf Plünderung bei diesen Pilgern gelegt habe, sondern weil ihren Anführern aufgefallen sei, dass sie sich auch vieler wertvoller Reliquien bemächtigt hatten. Bei einem Kelch oder einem Damastgewand konnte man noch die Augen zudrücken, aber die Reliquien durften nicht in alle Winde zerstreut werden. Deshalb hatte der Doge Enrico Dandolo angeordnet, dass alle bisher gestohlenen Wertgegenstände in die Hagia Sophia zu bringen seien, damit dort eine gerechte Verteilung vorgenommen werden könne. Was zunächst einmal hieß, eine Verteilung zwischen Kreuzpilgern und Venezianern, welch letztere noch auf die Bezahlung dafür warteten, dass sie die Pilger mit ihren Schiffen hergebracht hatten. Nach Abzug dieser Summe würde man den Wert jedes Stückes in Silbermark berechnen, und dann würden die Ritter je vier Teile, die berittenen Sergenten zwei und die unberittenen ein Teil bekommen. Die Reaktion der einfachen Fußsoldaten, die nichts abbekommen sollten, kann man sich vorstellen.
Es wurde gemunkelt, die Abgesandten Dandolos hätten bereits die vier bronzenen Pferde vom Hippodrom abmontiert, um sie nach Venedig zu schicken, und alle maulten sehr unzufrieden. Als einzige Antwort hatte Dandolo angeordnet, Bewaffnete jeden Ranges zu kontrollieren und auch ihre Wohnungen in Pera zu durchsuchen. Bei einem Ritter des Grafen von Saint-Pol hatte man eine Phiole gefunden. Er sagte, es handle sich um eine Medizin, die jetzt getrocknet sei, aber als man sie in der warmen Handbewegte, sah man, dass sie eine rote Flüssigkeit enthielt, die offensichtlich das Blut aus der Seite des Gekreuzigten war. Der Ritter beteuerte, er habe diese Reliquie vor der Plünderung ehrlich von einem Mönch erworben, doch um ein Exempel zu statuieren, hatte man ihn auf der Stelle gehängt, mit seinem Schwert und seinem Wappen um den Hals.
»Mann, wie der zappelte!« sagte Grillo.
Niketas hörte sich diese Nachrichten traurig an, aber Baudolino, der plötzlich verlegen war, als ob es seine Schuld wäre,
Weitere Kostenlose Bücher