Baudolino - Eco, U: Baudolino
verlieren sich zwischen den Bäumen, sie springen in den Fluss. Inzwischen geht das Gerücht, dass der Kaiser tot sei, und jeder versucht, sich auf eigene Faust nach Pavia durchzuschlagen.«
»Oh, diese Feiglinge! Und niemand sucht mehr nach unserem Herrn und Gebieter?«
»Es wird schon dunkel, auch die noch Kämpfenden hören jetzt auf, wie willst du da jemanden finden, hier auf diesem Schlachtfeld, und Gott weiß, wo?«
»Oh, diese Feiglinge«, rief Baudolino erneut, denn er war zwar kein Mann des Krieges, aber er hatte ein großes Herz. Er gab seinem Pferd die Sporen und stürmte mit gezücktem Schwert in die Richtung, wo er die meisten Toten liegen sah, wobei er laut nach seinem geliebten Adoptivvater rief. Einen Toten zu finden unter so vielen anderen Toten auf diesem Schlachtfeld, indem man laut rief, er solle ein Lebenszeichen von sich geben, das war ein ziemlich verzweifeltes Unterfangen, so dass die letzten lombardischen Trupps, denen er begegnete, ihn passieren ließen, da sie ihn wohl für einen Heiligen des Paradieses hielten, der ihnen zu Hilfe gekommen war, und ihn mit freudigem Winken begrüßten.
An der Stelle, wo der Kampf besonders blutig gewesen sein musste, machte sich Baudolino daran, die auf dem Bauch liegenden Toten umzudrehen, immer hoffend und zugleich fürchtend, im schwachen Licht der Dämmerung die teuren Züge seines Kaisers zu entdecken. Er hatte die Augen voller Tränen und tastete sich fast blind voran, so dass er, als er aus einem Wäldchen kam, beinahe mit jenem großen weißroten Ochsenkarren zusammengestoßen wäre, der langsam das Schlachtfeld verließ. »Habt ihr den Kaiser gesehen?« rief er ebenso sinnlos wie rückhaltlos schluchzend hinauf. Die auf dem Karren lachten und sagten: »Ja, er war da unten in dem Gebüsch, um's mit deiner Schwester zu treiben«, und einer blies trötend in seine Trompete, so dass ein obszöner Ton herauskam.
Sie hatten das nur so hingesagt, aber Baudolino ging trotzdem auch in jenem Gebüsch nachsehen. Da lag ein Häuflein Toter, drei bäuchlings über einem vierten, der auf dem Rücken lag. Er hob die drei hoch, die ihm den Rücken zukehrten, und darunter erblickte er, mit rotem Bart, aber rot von Blut, Friedrich. Er sah sofort, dass er noch lebte, denn ein kaum hörbares Röcheln kam aus seinen halb geöffneten Lippen. An der Oberlippe hatte er eine Wunde, die noch blutete, und auf der Stirn eine dicke Beule, die bis zum linken Auge reichte; die Hände hielt er beide vorgestreckt und in jeder einen Dolch – es sah ganz so aus, als hätte er, kurz bevor ihm die Sinne schwanden, es noch geschafft, die drei Elenden zu durchbohren, die sich auf ihn gestürzt hatten.
Baudolino hob seinen Kopf an, wischte ihm das Blut vom Gesicht und rief seinen Namen, und Friedrich schlug die Augen auf und fragte, wo er sei. Baudolino tastete ihn ab, um herauszufinden, ob er noch an anderen Stellen verwundet war, und der Ärmste schrie auf, als er seinen Fuß berührte, vielleicht war er ja wirklich von seinem Pferd ein Stück weit mitgeschleift worden. Sanft auf ihn einredend, während der immer noch ganz Benommene abermals fragte, wo er sei, half Baudolino ihm auf die Beine. Da endlich erkannte ihn Friedrich und umarmte ihn.
»Mein Vater und Herr«, sagte Baudolino, »steig du jetztauf mein Pferd, du darfst dich nicht anstrengen. Aber wir müssen vorsichtig sein, obwohl es inzwischen dunkel ist, denn hier sind überall Truppen der Liga, und wir können nur hoffen, dass sie alle gerade in irgendeinem Dorf dabei sind, ihren überraschenden Sieg zu feiern, den sie, wie mir scheint, ohne Offensive errungen haben. Aber einige könnten noch hiergeblieben sein, um nach ihren Toten zu suchen. Wir müssen uns durch Wälder und Schluchten, abseits der Straßen, bis nach Pavia durchschlagen, wohin die Deinen sich jetzt zurückgezogen haben werden. Du kannst im Sattel schlafen, ich werde aufpassen, dass du nicht runterfällst.«
»Und wer passt auf dich auf, dass du nicht im Gehen einschläfst?« fragte Friedrich mit einem gepressten Lächeln. Dann fügte er hinzu: »Es tut weh, wenn ich lache.«
»Ich sehe, es geht dir schon besser«, sagte Baudolino.
Sie gingen die ganze Nacht lang, stolpernd im Dunkeln, auch das Pferd, zwischen Wurzeln und niedrigen Sträuchern hindurch, und nur einmal sahen sie in der Ferne einige Feuer und machten einen weiten Bogen, um sie zu vermeiden. Um sich wach zu halten, redete Baudolino im Gehen, und Friedrich hielt sich wach, um ihn wach
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