Baudolino - Eco, U: Baudolino
hochrangiger Eunuche aus, und Boron konnte als dessen Diener passieren.
Was die Sprache anging, so hatten sie beschlossen, untereinander jenes Gauneridiom zu sprechen, das sie in Paris gelernt hatten und allesamt perfekt beherrschten – was einiges über den Eifer besagt, mit welchem sie in jenen glücklichen Tagen ihre Studien betrieben hatten. Unverständlich selbst für die Pariser, konnte dieses Idiom für die Byzantiner sehr wohl die Sprache von Taprobane sein.
Nachdem sie zu Anfang des Sommers in Venedig aufgebrochen waren, erfuhren sie bei einem Zwischenaufenthalt im August, dass die Sizilianer Thessalonike eingenommen hatten und womöglich schon die Nordküste der Propontis unsicher machten. Daher zog ihr Kapitän es vor, als sie bei Nacht durch den Hellespont in jenen Meeresarm einbogen, einen langen Umweg an die entgegengesetzte Küste zu machen, um dann von Süden her in Konstantinopel einzutreffen, als ob sie aus Chalkedon kämen. Zum Trost für diesen Umweg versprach er ihnen eine königliche Ankunft, denn so und nicht anders, sagte er, müsse man Konstantinopel entdecken, von Süden kommend und mit den ersten Strahlen der Sonne vor ihm eintreffend.
Als Baudolino und seine Freunde im Morgengrauen an Deck kamen, waren sie zunächst etwas enttäuscht, denn die Küste lag unter einem dichten Dunstschleier, aber derKapitän versicherte ihnen: so müsse man sich der Stadt nähern, langsam, und diese Trübung, die im übrigen schon den ersten Schimmer der Morgenröte durchscheinen ließ, werde sich Schritt für Schritt auflösen.
Nach einer knappen Stunde deutete der Kapitän auf einen weißen Punkt, und das war die Spitze einer Kuppel, die durch den Dunst zu stoßen schien ... Binnen kurzem traten aus jenem Grauweiß längs der Küste die Säulen einiger Paläste hervor, dann die Umrisse und Farben einiger Häuser, Glockentürme, die sich rosig färbten, und weiter unten die Stadtmauern mit ihren Türmen. Dann erhob sich auf einmal ein großer Schatten, noch verdeckt von Nebelschwaden, die vom Gipfel einer Anhöhe aufstiegen und davonflogen, bis man in vollendeter Harmonie und glänzend unter den Strahlen der ersten Morgensonne die Kuppel der Hagia Sophia daliegen sah, als wäre sie durch ein Wunder aus dem Nichts aufgestiegen.
Von diesem Moment an war es eine ununterbrochene Offenbarung, mit weiteren Türmen und weiteren Kuppeln, die vor einem immer klarer werdenden Himmel auftauchten, inmitten eines Triumphes von Grün, vergoldeten Säulen, weißen Peristylen, rosa Marmorwänden und der ganzen Pracht des Kaiserpalastes von Bukoleon mit seinen Zypressen in einem vielfarbigen Labyrinth von hängenden Gärten. Und dann die Mündung des Goldenen Horns mit der großen Kette, die den Eingang versperrte, und rechts der weiße Turm von Galata.
Baudolino erzählte bewegt, und Niketas wiederholte mehrmals mit Wehmut, wie schön Konstantinopel gewesen war, als es schön war.
»Ah, es war eine Stadt voll brodelnder Emotionen«, sagte Baudolino. »Kaum angelangt, bekamen wir sofort eine Ahnung von dem, was geschehen sein musste. Als wir zum Hippodrom kamen, begann dort gerade die Hinrichtung eines Feindes des Basileus ...«
»Andronikus wütete wie ein Rasender. Eure Lateiner aus Sizilien hatten Thessalonike mit Feuer und Schwert heimgesucht, Andronikos hatte ein paar Befestigungsarbeitenmachen lassen, dann aber hatte er sich nicht mehr für die Gefahr interessiert. Er gab sich seinem ausschweifenden Leben hin, behauptete, dass man die Feinde nicht fürchten müsse, ließ jene einkerkern, die ihm hätten helfen können, verließ die Stadt mit einem Schwarm von Hetären und Dirnen, verkroch sich wie das Wild in Bergesschluchten oder grünen Hainen, zog seinen Geliebten voran wie der Hahn seinen Hennen, wie Dionysos seinen Bacchantinnen, es fehlte nur noch, dass er sich ein Hirschkalbfell umhängte und ein safrangelbes Gewand trug. In seinem Palast umgab er sich mit Flötenspielerinnen und Hetären, dem Genuss frönend wie Sardanapal, geil wie ein Polyp, und wenn ihm für seine Ausschweifungen die Kräfte fehlten, verzehrte er ein ekliges, krokodilähnliches Reptil, das im Nil lebt und angeblich die Zeugungskraft anregt ... Ich möchte aber nicht, dass du ihn für einen schlechten Herrscher hältst. Er hat auch viele gute Dinge getan, er hat die Steuern und Abgaben begrenzt, er ist mit Nachdruck gegen den üblen Brauch vorgegangen, in Seenot geratene Schiffe an den Küsten und in den Häfen auszuplündern,
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