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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wie Rabbi Solomons Tierkreiszeichen-Mantel. Baudolino musste einen unwillkürlichen Wutanfall niederkämpfen, um nicht aus dem Schatten zu treten und den Verräter zu packen. Der Mönch ging unterwürfig vor einem prächtig gekleideten Manne her, dem zwei andere folgten. Nach der Haltung der beiden zu schließen, konnte der erste kein anderer als Andronikos sein.
    Der Basileus blieb unversehens stehen, beeindruckt von der Szenerie. Fromm bekreuzigte er sich vor der Ikonostase, dann fragte er Zosimos: »Warum hast du mich hierher geführt?«
    »Herr«, antwortete Zosimos, »ich habe dich hierher geführt, weil man wahre Hydromantie nur an geweihten Orten vollziehen kann, wo man den richtigen Kontakt mit dem Reich der Toten herstellt.«
    »Ich bin kein Feigling«, sagte Andronikos, während er sich erneut bekreuzigte, »aber du, hast du keine Angst, die Toten heraufzubeschwören?«
    Zosimos lachte verächtlich. »Herr, ich könnte diese meine Hände erheben, und die in den zehntausend Grabnischen von Konstantinopel Schlafenden würden sich mir gehorsam zu Füßen werfen. Aber ich habe es nicht nötig, jene Leiber ins Leben zu rufen. Ich verfüge über einen wundertätigen Gegenstand, den ich benutzen werde, um einen schnelleren Kontakt mit der Welt der Finsternis herzustellen.«
    Er zündete einen Holzspan im Feuer eines der Glutbecken an und näherte ihn dem kanalartigen Rand des Wasserbeckens. Das Öl begann zu brennen, und ein Kranz von Flämmchen lief rings um die Wasserfläche, um sich mit flackernden Reflexen in ihr zu spiegeln.
    »Ich sehe noch nichts«, sagte der Basileus, während er sich über das Becken beugte. »Frage dein Wasser, wer es ist, der sich darauf vorbereitet, meinen Platz einzunehmen. Ich bemerke eine Unruhe in der Stadt und möchte wissen, wen ich vernichten muss, um ihn nicht fürchten zu müssen.«
    Zosimos näherte sich dem unter einem roten Tuch verborgenen Gegenstand auf der kleinen Säule, zog das Tuch mit einer theatralischen Geste weg und reichte dem Basileus etwas irgendwie Rundes, das er ihm mit beiden Händen hinhielt. Unsere Freunde konnten nicht erkennen, um was es sich handelte, aber sie sahen den Basileus erschrocken zurückweichen, als versuche er einen unerträglichen Anblick von sich fernzuhalten. »Nein, nein«, sagte er, »das nicht! Du hast es dir für deine Riten von mir erbeten, aber ich wusste nicht, dass du es mir erneut präsentieren würdest!«
    Zosimos hob seine Trophäe hoch und zeigte sie einem gedachten Publikum wie eine Monstranz, indem er sie nach allen Seiten der Krypta drehte. Es war das Köpfchen einestoten Kindes, die Züge noch unversehrt, als wäre es gerade eben erst vom Rumpf getrennt worden, die Augen geschlossen, die Flügel der schmalen Nase geweitet, die Lippen halb geöffnet, so dass sie eine unversehrte Zahnreihe entblößten. Die Reglosigkeit, die bestürzende Illusion von Lebendigkeit dieses Gesichts wurde noch feierlicher durch die Tatsache, dass es in einer gleichmäßig goldgelben Farbe erschien und im Licht der Flämmchen, denen Zosimos es nun näherte, beinahe strahlte.
    »Es war nötig, dass ich den Kopf deines Neffen Alexios benutzte«, sagte Zosimos zum Basileus, »damit der Ritus vollzogen werden kann. Alexios war dir durch Blutsbande verbunden, durch seine Vermittlung kannst du dich mit dem Reich der Toten in Verbindung setzen.« Nach diesen Worten tauchte er das grässliche kleine Ding langsam ins Wasser und ließ es auf den Grund des Beckens sinken, über dessen Rand sich Andronikos beugte, soweit es der Flammenkranz erlaubte. »Das Wasser trübt sich«, rief er erregt. »Es hat in Alexios das erwartete irdische Element gefunden und befragt es nun«, flüsterte Zosimos. »Warten wir, bis sich diese Wolken verziehen.«
    Unsere Freunde konnten nicht sehen, was im Wasser geschah, aber sie verstanden, dass es nach einer Weile wieder klar geworden war, so dass man am Grund des Beckens das Gesicht des kleinen Basileus sah. »Hölle und Teufel, es gewinnt seine natürliche Farbe wieder«, stammelte Andronikos, »und ich lese Schriftzeichen auf seiner Stirn ... O Wunder ... Jota, Sigma ...«
    Man brauchte kein Hydromant zu sein, um zu begreifen, was geschehen war. Zosimos hatte den Kopf des kindlichen Kaisers genommen, hatte ihm zwei Buchstaben in die Stirn geritzt und ihn dann mit einer wasserlöslichen goldgelben Farbe bestrichen. Jetzt, als sich diese künstliche Patina aufgelöst hatte, übergab das unglückliche Mordopfer dem

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