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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unbekannten Ort geführt, bekämen dort einen Trank verabreicht, der sie bewusst- und gefühllos machte, würden befruchtet, kehrten danach in ihre Gemeinschaft zurück, und diejenigen, die schwanger geworden waren, würden von ihren Genossinnen bis zur Niederkunft umsorgt und gepflegt. War die Frucht ihres Leibes ein männliches Kind, so wurde es den Befruchtern zurückgegeben, war es ein weibliches, blieb es in der Gemeinschaft und wurde als eine Hypatia erzogen.
    »Sich fleischlich vereinigen«, sagte Hypatia, »wie es die Tiere tun, die keine Seele haben, heißt nur, den Irrtum der Schöpfung vervielfältigen. Die Hypatien, die zu den Befruchtern geschickt werden, nehmen diese Erniedrigungnur hin, weil wir weiterexistieren müssen, um die Welt von diesem Irrtum zu erlösen. Diejenigen von uns, die die Befruchtung erlitten haben, erinnern sich an nichts von diesem Vorgang, der, wäre er nicht im Geiste des Opfers vollzogen worden, unsere Apathie beeinträchtigt hätte ...«
    »Was ist eure Apathie?«
    »Das, worin jede Hypatia lebt und glücklich ist.«
    »Und wieso Irrtum der Schöpfung?«
    »Aber Baudolino«, sagte sie mit erstauntem Lachen, »scheint dir, dass die Welt vollkommen ist? Schau diese Blume hier, schau, wie zart der Stengel ist, schau dieses poröse Auge, das in der Blüte triumphiert, schau, wie gleichmäßig die Blütenblätter sind, alle ein wenig gebogen, um morgens den Tau aufzufangen wie in einer Schale, schau, mit welcher Freude sie sich diesem Insekt darbietet, das ihre Lymphe saugt ... Ist das nicht schön?«
    »Ja, es ist wirklich schön. Aber ist es denn nicht gerade schön, dass es schön ist? Ist es nicht ein Wunder Gottes?«
    »Baudolino, morgen früh ist diese Blume tot, in zwei Tagen ist sie verfault. Komm mit.« Sie führte ihn ins Unterholz und zeigte ihm einen roten Pilz mit flammendgelben Streifen.
    »Ist der schön?« fragte sie.
    »Er ist schön.«
    »Er ist giftig. Wer davon isst, stirbt. Findest du eine Schöpfung vollkommen, in der der Tod lauert? Weißt du, dass auch ich eines Tages sterben werde, dass auch ich verfaulen müsste, wäre ich nicht der Erlösung Gottes geweiht?«
    »Der Erlösung Gottes? Erkläre mir das ...«
    »Du bist doch wohl nicht auch ein Christ, Baudolino, wie diese Monster von Pndapetzim? Die Christen, die Hypatia getötet haben, glaubten an eine grausame Gottheit, die die Welt geschaffen hatte und mit ihr den Tod, das Leiden und, schlimmer noch als das physische Leiden, das der Seele. Die geschaffenen Wesen sind fähig, ihresgleichen zu hassen, zu töten und leiden zu lassen. Du wirst doch nicht glauben, dass ein gerechter Gott seine Kinder in solch ein Elend gestürzt haben kann ...«
    »Aber es sind die ungerechten Menschen, die solche Dinge tun, und Gott bestraft sie dafür und rettet die guten.«
    »Und warum sollte dieser Gott uns geschaffen haben, um uns dann der Gefahr der Verdammnis auszusetzen?«
    »Nun, weil das höchste Gut die Freiheit ist, Gutes oder Böses zu tun, und um seinen Kindern dieses höchste Gut zu geben, muss Gott es hinnehmen, dass einige von ihnen schlechten Gebrauch davon machen.«
    »Warum sagst du, dass die Freiheit ein Gut ist?«
    »Weil, wenn man sie dir wegnimmt, wenn man dich in Ketten legt, wenn man dich nicht machen lässt, was du möchtest, dann leidest du, und deshalb ist das Fehlen von Freiheit ein Übel.«
    »Kannst du deinen Kopf so weit umdrehen, dass du dich von hinten siehst, ich meine, dass du wirklich deinen Rücken betrachtest? Kannst du in diesen See gehen und bis heute Abend unter Wasser bleiben, ich meine richtig mit dem Kopf unter Wasser, ohne ihn hinauszustrecken?« Sie lachte.
    »Nein, weil ich mir den Hals brechen würde, wenn ich den Kopf ganz umzudrehen versuchte, und weil ich unter Wasser nicht atmen könnte. Gott hat mich mit diesen Einschränkungen erschaffen, um zu verhindern, dass ich mir ein Leid antue.«
    »Dann sagst du also, dass er dir einige Freiheiten in bester Absicht genommen hat, habe ich recht?«
    »Aber er hat sie mir genommen, damit ich nicht leide.«
    »Und warum hat er dir dann die Freiheit gegeben, zwischen Gut und Böse zu wählen, so dass du am Ende Gefahr läufst, die ewigen Strafen zu erleiden?«
    »Gott hat uns die Freiheit gegeben in der Annahme, dass wir sie richtig gebrauchen. Aber dann ist die Rebellion der Engel gekommen, die das Böse in die Welt gebracht hat, und es war die Schlange, die Eva versucht hat, so dass wir heute alle an der Ursünde leiden. Daran ist

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