Baudolino - Eco, U: Baudolino
empfinden.«
In ihrem Eifer bewegte sie die Hände wie ein Kind, das, wenn es von einer Ratte spricht, deren Form nachbildet, und wenn es ein Gewitter erwähnt, Blitze in die Luft zeichnet.
»Du sprichst vom Irrtum der Schöpfung und vom Bösen, Hypatia, aber so, als ob es dich nicht berührte, und du lebst hier in diesem Wald, als ob alles so schön wäre wie du.«
»Wenn auch das Böse von Gott kommt, muss auch im Bösen etwas Gutes sein. Hör mir gut zu, Baudolino, denn du bist ein Mensch, und die Menschen sind nicht gewohnt, alles Seiende in der richtigen Weise zu denken.«
»Ich wusste es ja, auch ich denke schlecht.«
»Nein, du denkst einfach nur. Und denken allein genügt nicht, das ist nicht die richtige Weise. Pass auf, versuch dir eine Quelle vorzustellen, die keinen Ursprung hat und sich in tausend Flüsse verströmt. Die Quelle bleibt immer ruhig, frisch und klar, während die Flüsse in verschiedene Richtungen fließen, sich mit Sand trüben, sich zwischen Felsen durchdrängen und husten, als ob sie gewürgt würden, bisweilen auch austrocknen. Die Flüsse leiden sehr, weißt du das? Und doch ist das Wasser der Flüsse und selbst der schlammigsten Bäche stets Wasser und kommt aus derselben Quelle wie dieser See hier. Dieser See leidet weniger als ein Fluss, denn in seiner Klarheit erinnert er mehr an die Quelle, aus der er kommt, ein Tümpel voller Insekten leidet mehr als ein See oder ein Wildbach. Aber alle leiden irgendwie, weil sie gerne dorthin zurückkehren würden, woher sie kommen, aber nicht mehr wissen, wie das geht.«
Hypatia nahm Baudolino am Arm und drehte ihn zum Wald. Dabei näherte sich ihr Kopf dem seinen, und er roch den pflanzlichen Duft ihres Haars. »Sieh dort den Baum. Was ihn durchströmt, von den Wurzeln bis in die äußersten Blätter, das ist das Leben selbst. Aber die Wurzeln nähren sich in der Erde, der Stamm verdickt sich und überlebt alle Jahreszeiten, während die Zweige dazu neigen, auszutrocknen und zu brechen, die Blätter halten nur wenige Monate und fallen dann ab, die Triebe leben nur ein paar Wochen. Zwischen den Blättern gibt es mehr Leid als im Stamm. Der Baum ist Einer, aber er leidet im Akt seiner Ausdehnung, weil er zu Vielen wird und, während er sich vervielfältigt, an Kraft verliert.«
»Aber das Laub ist schön, du selbst erfreust dich in seinem Schatten ...«
»Siehst du, auch du kannst weise werden, Baudolino! Wenn es dieses Laub nicht gäbe, könnten wir nicht hier sitzen und von Gott reden, wenn es diesen Wald nicht gäbe, wären wir uns nie begegnet, und das wäre das größte aller Übel gewesen.«
Sie sagte das, als ob es die nackte und simple Wahrheit wäre, doch Baudolino fühlte von neuem einen Stich in der Brust, ohne seine Erregung zeigen zu können oder zu wollen.
»Aber dann erkläre mir, wie können die Vielen gut sein, zumindest in gewissem Maße, wenn sie doch eine Krankheit des Einen sind.«
»Siehst du, auch du kannst weise werden, Baudolino! Du hast gesagt, ›in gewissen Maße‹. Trotz des Irrtums der Schöpfung ist ein Teil des Einen und Einzigen in jedem von uns denkenden Kreaturen geblieben und auch in jeder anderen Kreatur, von den Tieren bis zu den toten Körpern. Alles, was uns umgibt, ist von Göttern bewohnt, die Pflanzen, die Samen, die Blumen, die Wurzeln, die Quellen; jede von ihnen, sosehr sie auch daran leidet, eine schlechte Nachahmung der Gedanken Gottes zu sein, möchte nichts anderes, als sich wieder mit ihm vereinen. Wir müssen die Harmonie zwischen den Gegensätzen wiederfinden, wir müssen den Göttern helfen, wir müssen diese Funkenzum Leben erwecken, diese Erinnerungen an den Einen und Einzigen, die noch begraben liegen in unseren Seelen und in den Dingen selbst.«
Mindestens zweimal hatte sich Hypatia entschlüpfen lassen, dass sie es schön fand, mit Baudolino zusammen zu sein. Das ermutigte ihn wiederzukommen.
Eines Tages erklärte sie ihm, wie die Hypatien es anstellten, den göttlichen Funken in allen Dingen zu entzünden, damit diese aus Sympathie auf etwas verwiesen, das vollkommener war als sie, nicht direkt auf Gott, aber auf seine minder geschwächten Emanationen. Sie führte ihn an eine Stelle am See, wo Sonnenblumen am Ufer wuchsen, während auf dem Wasser Lotosblumen schwammen.
»Siehst du, was die Sonnenblume macht? Sie dreht sich zur Sonne, sucht sie, folgt ihr und betet zu ihr, und es ist schade, dass du noch nicht das Brausen in der Luft hören kannst, das sie macht,
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