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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Ellenbogen gestützt, er fiel auf mich drauf, wobei ihm das Schwert aus den Händen glitt ... Ich sah sein Gesicht über meinem, seine blutunterlaufenen Augen direkt vor mir, ich roch die Ausdünstung seiner Wut, den Gestank eines wilden Tieres, das seine Beute packt, ich spürte seine Hände, die sich mir um den Hals legten, ich hörte das Knirschen seiner Zähne ... Ich reagierte instinktiv, hob die Ellenbogen und stieß die beiden Dolche rechts und links in seine Seiten. Ich hörte das Geräusch von zerreißendem Stoff, mir schien, dass die beiden Klingen sich in der Mitte seines Unterleibs trafen. Dann sah ich ihn weiß werden, und ein dünner Blutstrom quoll aus seinem Mund. Seine Stirn berührte die meine, sein Blut rann auf meinen Mund. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich aus dieser Umarmung befreit habe, ich ließ die Dolche in seinem Leib stecken und schüttelte die Last von mir ab. Er sank neben mir auf den Boden, die weitgeöffneten Augen auf den Mond in der Höhe gerichtet, und war tot.«
    »Der erste Mensch, den du in deinem Leben getötet hast.«
    »Und gebe Gott, dass es auch der letzte war! Er war mein Jugendfreund gewesen, der Gefährte unzähliger Abenteuer in mehr als vierzig Jahren. Ich wollte weinen, aber dann fiel mir ein, was er getan hatte, und ich hätte ihn noch einmal töten können. Ich stand auf, was mir schwerfiel, denn ich hatte zu töten begonnen, als ich nicht mehr die Beweglichkeit meiner besten Jahre besaß. Ich schwankte keuchend bis zum Ende des Ganges, trat wieder in die runde Krypta, sah die drei anderen bleich und zitternd dort warten und besann mich auf meine Würde als Ministeriale und Adoptivsohn Friedrichs. Ich durfte keine Schwäche zeigen. Hochaufgerichtet, den Rücken zur Ikonostase gekehrt, als wäre ich ein Erzengel unter Erzengeln, sagte ich: Der Gerechtigkeit ist Genüge getan, ich habe den Mörder des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches gerichtet.«
     
    Baudolino ging sein Reliquiar holen, nahm den Gradal heraus, zeigte ihn vor, wie man eine geweihte Hostie zeigt, und sagte nur: »Erhebt einer von euch darauf Ansprüche?«
    »Baudolino«, sagte Boron, dem es immer noch nicht gelang, seine Hände ruhig zu halten, »heute Abend habe ich mehr durchgemacht als in all den Jahren, die wir zusammen verbracht haben. Es ist sicher nicht deine Schuld, aber etwas ist zwischen uns zerbrochen, zwischen dir und mir, zwischen Kyot und mir, zwischen Boidi und mir. Noch vor kurzem hatte sich jeder von uns, wenn auch nur für einige Augenblicke, glühend gewünscht, dass der andere der Schuldige sei, um den eigenen Schuldvorwürfen ein Ende zu setzen. Das ist keine Freundschaft mehr. Nach dem Fall von Pndapetzim sind wir nur umständehalber zusammengeblieben. Was uns zusammenhielt, war die Suche nach dem Gegenstand, den du da in der Hand hältst. Die Suche danach, sage ich, nicht der Gegenstand selbst. Jetzt weiß ich, dass der Gegenstand die ganze Zeit über bei uns war, und das hat uns nicht daran gehindert, mehrmals beinahe in unser Verderben zu laufen. Heute Abend habe ich begriffen, dass ich den Gradal nicht haben darf, auch nicht, um ihn jemandem zu geben, sondern dass ich nur die Flamme der Suche nach ihm am Leben erhalten muss. Alsobehalte das Ding, es hat nur dann die Macht, die Menschen mitzureißen, wenn man es nicht findet. Ich gehe fort. Ich werde versuchen, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen, dann werde ich anfangen, über den Gradal zu schreiben, und meine einzige Macht wird in meiner Erzählung liegen. Ich werde über bessere Ritter als uns schreiben, und wer mich liest, wird von der Reinheit träumen, nicht von unserem Elend. Lebt wohl, ihr alle, meine verbliebenen Freunde. Nicht wenige Male war es schön, mit euch zu träumen.« Er drehte sich um und verschwand auf dem Weg, den er gekommen war.
    »Baudolino«, sagte Kyot, »ich glaube, dass Boron die richtige Wahl getroffen hat. Ich bin kein Gelehrter wie er, ich weiß nicht, ob ich die Geschichte des Gradals schreiben könnte, aber bestimmt werde ich jemanden finden, dem ich sie erzählen kann, damit er sie schreibt. Boron hat recht, ich werde meiner seit so vielen Jahren betriebenen Suche treu bleiben, wenn ich andere dazu bringe, sich den Gradal zu wünschen. Ich werde auch nicht mehr von dem Gefäß sprechen, das du da in der Hand hältst. Vielleicht werde ich sagen, der Gradal sei ein vom Himmel gefallener Stein. Ob Kelch oder Stein oder Lanze, was bedeutet das schon. Worauf es ankommt, ist,

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