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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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erleichtert, sagst du mir doch, dass Friedrich zu der Zeit auf jeden Fall schon tot war! Aber was das Gift angeht – wie kannst du so etwas Infames behaupten? Ich habe an jenem Abend guten Glaubens getrunken, ich fühlte mich wie ein Opferlamm ...«
    »Ja natürlich, ihr seid allesamt Unschuldslämmer! Unschuldslämmer, die fast fünfzehn Jahre lang mit dem Verdacht gelebt haben, sie könnten schuld an Friedrichs Tod sein, gilt das nicht auch für dich, Boron? Aber nun zu unserem Boidi. Du bist jetzt der einzige, der den Gradal haben kann. Du warst in jener Nacht nicht hinausgegangen. Du hast am Morgen wie alle anderen Friedrich tot in seinem Zimmer gefunden. Das hattest du nicht erwartet, aber du hast die Gelegenheit beim Schopf ergriffen. Vorbereitet hattest du sie schon lange. Im übrigen warst du der einzige, der Gründe hatte, Friedrich zu hassen, war er doch schuld am Tod so vieler deiner Mitbürger vor den Mauern von Alexandria. In Kalliupolis hast du uns gesagt, du hättest einen Ring mit einem Herzmittel in der Kapsel gekauft. Aber niemand war dabei, als du ihn gekauft hast. Wer sagt uns, dass es wirklich ein Herzmittel war? Du hattest schon lange mit deinem Gift auf der Lauer gelegen und hast begriffen, dass dies der richtige Augenblick war. Vielleicht hatte Friedrich, dachtest du, nur das Bewusstsein verloren. Also hast du ihm das Gift in den Mund geträufelt, wobei du so tatest, als ob du ihn wiederbeleben wolltest, und erst danach, wohlgemerkt, erst danach hat Solomon seinen Tod festgestellt.«
    »Poet«, rief der Boidi und fiel auf die Knie, »wenn du wüsstest, wie oft ich mich in all den Jahren gefragt habe, ob dieses Herzmittel nicht womöglich ein Gift war! Aber jetzt sagst du mir, dass Friedrich schon vorher tot war, umgebracht von einem dieser beiden hier oder von allen beiden, Gott sei Dank!«
    »Das ändert nichts«, sagte die Stimme des Poeten, »esgeht allein um die Absicht. Doch über deine Absichten wirst du Gott Rechenschaft ablegen müssen. Ich will nur den Gradal. Öffne den Schrein.«
    Mit zitternden Fingern versuchte der Boidi, sein Reliquiar zu öffnen, dreimal hielt der Siegellack stand. Boron und Kyot waren ein Stück zurückgewichen, als ob er, wie er sich da über jenen schicksalhaften Behälter beugte, bereits der überführte Schuldige wäre. Beim vierten Versuch ging der Schrein auf, und ein weiteres Mal kam ein Schädel zum Vorschein.
    »Bei allen gottverfluchten Heiligen!« brüllte der Poet und trat hinter der Ikonostase hervor.
     
    »Er war der Inbegriff von Wut und Raserei, Kyrios Niketas, und ich erkannte meinen einstigen Freund nicht wieder. Aber in diesem Augenblick fiel mir ein, wie ich an jenem Tag in der Burg noch einmal die Täuferköpfe betrachten ging, nachdem Ardzrouni uns vorgeschlagen hatte, sie auf unsere Reise mitzunehmen, und nachdem Zosimos bereits, ohne dass wir es wussten, den Gradal in einem von ihnen versteckt hatte. Ich war in die kleine Kammer getreten, hatte einen der Köpfe in die Hand genommen, wenn ich mich recht erinnere den ersten links, und hatte ihn mir genau angesehen. Dann hatte ich ihn wieder hingestellt. Nun rief ich mir jenen Augenblick vor fast fünfzehn Jahren wieder in Erinnerung, vergegenwärtigte ihn mir genau und sah mich, wie ich den Kopf rechts neben die anderen stellte, als letzten der sieben. Als Zosimos dann kam, um sich vor seiner Flucht den Gradal zu holen – den er ja in den ersten Kopf links getan hatte, wie er sich erinnerte –, hatte er diesen genommen, der jedoch vorher der zweite gewesen war. Und als wir dann die Köpfe unter uns aufteilten, bevor wir aufbrachen, hatte ich meinen als letzter genommen. Also den von Zosimos. Du wirst dich erinnern, dass ich seit Abduls Tod auch dessen Kopf bei mir hatte, ohne es jemandem gesagt zu haben. Als wir dann nach Pndapetzim kamen und ich einen der beiden Köpfe Praxeas schenkte, habe ich ihm offensichtlich den von Abdul gegeben, was ich schon damals daran bemerkte,dass er so leicht aufging, weil ja das Siegel bereits von Ardzrouni zerbrochen worden war. Also hatte ich fast fünfzehn Jahre lang den Gradal mit mir herumgetragen, ohne es zu wissen. Ich war mir nun dessen so sicher, dass ich es nicht einmal mehr nötig hatte, meinen Kopf zu öffnen. Dennoch tat ich es, so leise wie möglich. Trotz der Dunkelheit hinter der Säule konnte ich sehen, dass der Gradal sich tatsächlich darin befand, fest eingefügt, die Öffnung nach vorn und der Boden rund wie ein Schädel in den

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