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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dass niemand ihn findet, sonst würden die anderen aufhören, nach ihm zu suchen. Wenn du auf mich hören willst: Versteck das Ding da, damit niemand den Traum davon tötet, indem er es in Besitz nimmt. Und im übrigen, auch ich würde mich unwohl fühlen, wenn ich bei euch bliebe, zu viele leidvolle Erinnerungen würden mich plagen. Du, Baudolino, bist ein Racheengel geworden. Vielleicht musstest du tun, was du getan hast. Aber ich will dich nicht mehr sehen. Leb wohl.« Und damit ging auch er aus der Krypta.
    Da sprach der Boidi, und nach so vielen Jahren begann er wieder in der heimischen Sprache der Frascheta zu sprechen. »Baudolino«, sagte er, »ich habe nicht den Kopf in den Wolken wie jene beiden, und Geschichten kann ich nicht erzählen. Dass die Leute rumlaufen, um nach etwas zu suchen, was es nicht gibt, darüber kann ich nur lachen. Die Dinge, auf die es ankommt, sind die, die es gibt, nurdarfst du sie nicht jedem zeigen, denn die Eifersucht ist eine hässliche Bestie. Dieser Gradal da ist ein heiliges Ding, glaub mir, denn er ist schlicht und einfach wie alle heiligen Dinge. Ich weiß nicht, wohin du ihn tun willst, aber jeder Ort außer dem, den ich dir jetzt sagen werde, wäre der falsche. Hör zu, was mir eingefallen ist. Nach dem Tod deines armen Vaters Gagliaudo selig, erinnerst du dich, da hatten doch alle in Alexandria angefangen zu sagen, wer eine Stadt rettet, der soll eine Statue kriegen. Aber du weißt ja, wie es dann geht: Man redet, man redet, und nie kommt was Rechtes zustande. Ich hatte jedoch bei meinen Rundreisen als Getreidehändler in einer halbverfallenen kleinen Kirche nahe bei Villa del Foro eine wunderschöne Statue gefunden, wer weiß, wo die herkam. Sie stellt einen gebeugten alten Mann dar, der mit den Händen eine Art Mühlstein auf dem Kopf hält, einen Schlussstein, vielleicht auch ein großes Käserad, wer kann das wissen, und es scheint, als ob er darunter zusammenbricht, weil er das Ding kaum noch halten kann. Ich hab mir gesagt, so eine Figur sollte sicherlich was bedeuten, auch wenn ich keine Ahnung habe, was sie bedeutet, aber du weißt ja, wie das ist, du machst eine Figur, und dann erfinden die anderen eine Bedeutung für sie, und dir kann's recht sein. Tja, und da hab ich mir gesagt, was für ein schöner Zufall, dies könnte die Statue von Gagliaudo sein, du baust sie über dem Portal oder an einer Seitenwand der Kathedrale ein, wie eine kleine Säule, der dieser Stein auf dem Kopf als Kapitell dient, und dann ist es der arme Alte, der das ganze Gewicht der Belagerung trägt. Ich hab sie mit nach Hause genommen und in meinen Heuschober gestellt, und als ich den anderen davon erzählte, fanden alle, das sei wirklich eine schöne Idee. Dann kam diese Geschichte dazwischen, dass wer ein guter Christ war nach Jerusalem zog, und da bin auch ich mitgegangen, das schien ja damals wer weiß was Tolles zu sein. Na ja, vorbei und erledigt. Jetzt gehe ich wieder nach Hause, und dann werden wir ja sehen, wie sie mich feiern werden, unsere Altersgenossen, soweit sie noch auf dieser Welt sind, und für die Jüngeren werde ich der sein, der mit dem Kaiser nach Jerusalem gezogen ist undabends am Feuer mehr zu erzählen hat als der Meister Vergil, pass auf, womöglich wählen sie mich noch, bevor ich sterbe, zum Konsul ... Ich komme also nach Hause, gehe ohne ein Wort zu sagen in den Heuschober, finde die Statue, mache irgendwie ein Loch in das Ding, das sie auf dem Kopf trägt, und tue den Gradal rein. Dann schmiere ich Mörtel drüber, lege Steinsplitter drauf, dass man nicht mal mehr einen Spalt sieht, und bringe sie zur Kathedrale. Wir stellen sie an eine passende Stelle und mauern sie fest, und dann steht sie da per omnia saecula saeculorum , und niemand holt sie mehr runter, auch nicht, um nachzusehen, was dein Vater da auf der Rübe trägt. Wir sind eine junge Stadt und haben nicht allzu viele Grillen im Kopf, aber irgendein Segen vom Himmel kann nie schaden. Ich werde sterben, meine Kinder werden sterben, und der Gradal wird immer da sein, um die Stadt zu beschützen, ohne dass jemand es weiß, es genügt, dass der Herrgott es weiß. Was hältst du davon?«
     
    »Kyrios Niketas, dies war das richtige Ende für die Schale, auch weil ich, obwohl ich jahrelang vorgab, es vergessen zu haben, als einziger wusste, woher sie kam. Nach dem, was ich gerade getan hatte, wusste ich selber nicht mehr, wozu ich eigentlich auf der Welt war, ich hatte nie etwas wirklich Gutes zustande

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