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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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während er sanft diese Saiten zupfte, sang er in provenzalischer Sprache:
     
    Quan lo rius de la fontana
    S'esclarzis si cum far sol,
    E par la flors aiglentina
    E-l rossignoletz el ram
    Volv e refraing et aplana
    Son doutz chantar et afina,
    Dreitz es qu'ieu lo mieu refraigna.
     
    Wenn der Bach aus der Quelle
    hell sprudelt, wie sich's gehört,
    und die Hundsrose blüht
    und die Nachtigall auf dem Zweig
    anstimmt und dreht und wendet
    und verfeinert ihr süßes Lied,
    ist's recht, dass auch ich anstimme das meine.
     
    O meine Liebe in fernem Land,
    mein Herze leidet um dich,
    und ich finde keine Arznei,
    es sei denn, ich folgte deinem Ruf
    mit der Last süßer Liebe
    in einen Garten, hinter einen Vorhang,
    mit einer begehrten Gefährtin.
     
    Keinen Tag kann ich dir nahe sein,
    wen wundert's, dass ich entflamme.
    Nie gab es eine schönere Christin,
    noch eine Jüdin noch Sarazenin,
    denn Gott hat es nicht gewollt,
    und mit Manna ist wohlversorgt,
    wer nur ein wenig von deiner Liebe gewinnt.
     
    Mein Herz hört nicht auf zu begehren
    dich, die ich am innigsten liebe,
    und ich glaube, mein Wollen narrt mich,
    meine Begierde verdunkelt die Sonne.
    Denn stechender als ein Dorn
    ist der Schmerz, der die Liebeslust heilt,
    drum soll man mich nicht beweinen.
     
    Die Melodie war süß, die Akkorde weckten unbekannte oder schlummernde Leidenschaften, und Baudolino dachte an Beatrix.
    »Herr im Himmel«, seufzte der Poet, »warum kann ich nicht so schöne Verse schreiben?«
    »Ich will kein Dichter werden. Ich singe nur für mich, das genügt. Wenn du sie haben willst, schenke ich sie dir«, sagte Abdul großmütig.
    »O ja«, antwortete der Poet, »und wenn ich sie dann ins Deutsche übersetze, klingen sie schrecklich fade ...«
    Abdul wurde der Dritte in ihrem Bunde, und immer wenn Baudolino versuchte, nicht an Beatrix zu denken, nahm dieser verdammte Maure mit rotem Haar sein vermaledeites Instrument zur Hand und sang Lieder, die Baudolino das Herz zerspringen ließen.
     
    Wenn die Nachtigall im Gezweig
    Liebe spendet und sucht und nimmt
    und jubelnd anstimmt ihr Lied
    und lockend zu ihrem Gesellen blickt
    und hell die Bäche sind und die Wiesen grün
    ob der neuen Fröhlichkeit, die regiert,
    dann strömt mir große Freude ins Herz.
     
    Nach einer Freundschaft sehne ich mich,
    denn ich wüsste kein höheres Glück,
    um das ich bete und das ich begehre,
    als die Liebe, die sie mir schenkt,
    und die flink sich einnistet
    in mein wehes Gemüt
    mit einem schmerzlichen Ton.
     
    Baudolino nahm sich vor, auch eines Tages Lieder für seine ferne Kaiserin zu schreiben, aber er wusste nicht recht, wie man das anstellte, da weder Otto noch Rahewin jemals zu ihm von Poesie gesprochen hatten, außer wenn sie ihn irgendeine sakrale Hymne erlernen ließen. Fürs erste nutzte er Abdul, um sich Zugang zur Bibliothek von Sankt Viktor zu verschaffen, wo er lange Vormittage verbrachte, indem er – statt den Magistern zu lauschen – mit halboffenem Mund phantastische Texte verschlang, nicht die Handbücher der Grammatik, sondern die Geschichten von Plinius, den Alexanderroman, die Geographie von Solinus, die Etymologien von Isidor und anderes mehr.
    Er las von fernen Ländern, in denen die Krokodile leben, große Wasserschlangen, die Tränen vergießen, nachdem sie Menschen gefressen haben, und die nur denOberkiefer bewegen und keine Zunge haben; dazu die Hippopotamoi, die halb Mensch und halb Pferd sind, die Bestie Leukokroka, die den Leib eines Esels hat, das Hinterteil eines Hirsches, die Brust und die Schenkel eines Löwen, ein Horn mit zwei Spitzen, einen bis zu den Ohren reichenden Mund, aus dem eine beinahe menschliche Stimme ertönt, und anstelle der Zähne einen einzigen Knochen. Er las von Ländern, in denen Menschen ohne Kniegelenke leben, Menschen ohne Zunge, Menschen mit Riesenohren, in die sie ihren Leib hüllen können, um ihn vor Kälte zu schützen, und jene Skiapoden oder Schattenfüßler, die nur ein Bein haben, aber ungemein schnell damit rennen können.
    Da er Beatrix keine eigenen Lieder schicken konnte (und es, hätte er welche geschrieben, nicht gewagt hätte), beschloss er, wie man der Geliebten Blumen oder Juwelen schickt, ihr alle Wunder zu schenken, die er in den Büchern entdeckte. So schrieb er ihr von Gegenden, wo die Bäume des Mehls und des Honigs wachsen, vom Berg Ararat, auf dessen Gipfel man an klaren Tagen die Reste der Arche Noah sieht, und die hinaufgestiegen sind, sagen, sie hätten den

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