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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Zeit, wenn man auch nur eine halbe Stunde über die Form der Erde nachdenke.
    »Das scheint mir richtig«, sagte der Poet, der es eilig hatte, in die Taverne zu gehen, »und es ist unnütz, nach dem Irdischen Paradies zu suchen, denn es muss ein Wunder an hängenden Gärten gewesen sein, und da es seit der Vertreibung Adams und Evas unbewohnt ist, hat sich niemand mehr um die Pflege und Sicherung der Terrassen gekümmert, und spätestens während der Sintflut muss alles in den Ozean abgerutscht sein.«
    Abdul hingegen war sicher, dass die Erde die Form einer Kugel hatte. »Denn wäre sie eine Scheibe«, argumentierte er mit unbestreitbarer Logik, »so müsste mein Blick – der durch meine Liebe überaus scharf ist, wie bei allen Liebenden – in sehr weiter Ferne irgendein Zeichen derGegenwart meiner Geliebten erspähen können, doch die Krümmung der Erde entzieht sie meinem Begehren.« Und nach einiger Suche in der Bibliothek der Abtei von Sankt Viktor hatte er Karten gefunden, die er seinen Freunden aus dem Gedächtnis aufzeichnete.
     

 
     
    »Die Erde ist umgeben vom Ring des Oceanus, und sie wird von drei großen Wasserläufen geteilt, dem Hellespont, dem Mare Mediterraneum und dem Nil.«
    »Einen Moment, wo ist Osten?«
    »Hier oben natürlich, wo Asien liegt, und im äußersten Osten, genau da, wo die Sonne aufgeht, ist das Irdische Paradies. Links davon liegt der Berg Kaukasus und daneben das Kaspische Meer. Nun müsst ihr wissen, dass es von Indien gleich drei gibt, ein Groß-Indien, wo es sehr heiß ist, gleich rechts vom Paradies, ein Nördliches Indien, jenseitsdes Kaspischen Meeres, also hier oben links, wo es so kalt ist, dass das Wasser zu Kristall gefriert, und wo die Völker Gog und Magog leben, die Alexander der Große hinter einer Mauer eingesperrt hat, und schließlich noch ein Gemäßigtes Indien nahe bei Afrika. Und Afrika seht ihr hier rechts unten im Süden, wo der Nil verläuft und wo sich der Arabische Golf und der Persische Golf zum Roten Meer hin öffnen, auf dessen anderer Seite das Wüstenland liegt, das sehr nahe an der Äquatorsonne und daher so heiß ist, dass niemand sich dort hinwagen kann. Im Westen von Afrika, nahe bei Mauretanien, habt ihr die Inseln des Glücks oder die Verlorene Insel, die vor vielen Jahrhunderten von einem Heiligen aus meiner Heimat entdeckt worden ist. Unten im Norden ist das Land, in dem wir leben, mit Konstantinopel am Hellespont und Griechenland und Rom, und im äußersten Norden die Germanen und die Insel Hibernia.«
    »Aber wie kannst du so eine Karte ernst nehmen«, fragte der Poet feixend, »die dir die Erde als Scheibe präsentiert, wo du doch behauptest, sie sei eine Kugel?«
    »Na überleg doch mal«, erwiderte Abdul ungehalten. »Könntest du eine Kugel so darstellen, dass man alles sähe, was sich auf ihr befindet? Eine Karte muss dir den Weg zeigen, und beim Gehen siehst du die Erde nicht rund, sondern flach vor dir liegen. Und außerdem, auch wenn sie eine Kugel ist, ist die ganze untere Hälfte unbewohnt und vom Ozean besetzt, denn würde dort jemand leben, müsste er ja mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten leben! Daher genügt ein Kreis wie dieser, um die obere Halbkugel darzustellen. Aber ich werde die Karten der Abtei noch besser studieren, auch weil ich in der Bibliothek einen Scholaren kennengelernt habe, der alles über das Irdische Paradies weiß.«
    »Ach wirklich? War er dort, als Eva Adam den Apfel gab?« fragte der Poet.
    »Man braucht nicht an einem Ort gewesen zu sein, um alles über ihn zu wissen«, antwortete Abdul. »Sonst wüssten die Seeleute mehr als die Theologen.«
     
    Dies alles nur, erklärte Baudolino seinem Zuhörer, um zu sagen, dass unsere Freunde schon in ihren ersten Jahren in Paris, als sie noch quasi bartlos waren, sich auf jene Sache einzulassen begannen, die sie viele Jahre später bis an die äußersten Ränder der Welt führen sollte.

 
    7. Kapitel
    Baudolino lässt Beatrix Liebesbriefe
    und den Poeten Gedichte schreiben
     
    Im Frühling entdeckte Baudolino, dass seine Liebe immer größer wurde, wie es Liebenden in dieser Jahreszeit ergeht, und dass sie durch die schalen Affären mit irgendwelchen Mädchen nicht befriedigt wurde, sondern sich durch den Vergleich ins Riesenhafte steigerte, denn Beatrix hatte außer dem Vorteil der Anmut, der Intelligenz und der königlichen Salbung auch noch den der Abwesenheit. Über die Reize der Abwesenheit hörte Abdul nicht auf, ihn zu quälen, indem

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