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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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er die Abende damit verbrachte, sein Instrument zu streicheln und weitere Lieder zu singen, so dass Baudolino schließlich, um sie voll zu genießen, auch Provenzalisch lernte.
     
    Lanquan li jorn son lonc en mai,
    M'es bels doutz chans d'auzels de loing,
    E quan me sui partitz de lai,
    Remembra-m d'un'amor de loing ...
     
    Wenn lang die Tage sind im Mai,
    klingt süß mir Vogelgesang aus der Ferne,
    und seit ich diese Reise begonnen,
    gedenke ich unverwandt einer fernen Liebe.
    Ich gehe so tief gebeugt vor Verlangen,
    dass weder Gesang noch blühender Weißdorn
    mir besser gefallen als eisiger Winter.
     
    Baudolino sinnierte: Eines Tages wird Abdul die Hoffnung verlieren, jemals seine Prinzessin zu sehen. Oh, der Glückliche! Mein Leid ist schlimmer als seines, denn ich werde meine Geliebte zweifellos wiedersehen müssen , früher oderspäter, und ich habe nicht das Glück, sie niemals gesehen zu haben, sondern das Unglück, zu wissen, wer sie ist und wie sie aussieht. Doch wenn Abdul Trost darin findet, uns sein Leid zu schildern, warum sollte ich dann nicht Trost darin finden, ihr das meine zu schildern? Mit anderen Worten, Baudolino hatte intuitiv erkannt, dass es sein Herzeleid mildern könnte, wenn er niederschrieb, was er empfand, und es tat ihm leid, wenn er dadurch dem Objekt seiner Liebe diese Schätze an Zärtlichkeit vorenthielt. So schrieb Baudolino in tiefer Nacht, während der Poet selig schlummerte:
    »Der Nordstern scheint auf den Pol, und der Mond erhellt die Nacht. Mir aber dient als Führer ein einziger Himmelskörper, und wenn nach dem Weichen der Dunkelheit mein Stern im Osten aufgeht, will mein Geist nichts von des Schmerzes Düsternis wissen. Du bist mein lichtbringender Stern, der die Nacht vertreibt, denn ohne dich ist der Tag selbst finstere Nacht, mit dir jedoch ist die Nacht selbst helllichter Tag.«
    Und weiter: »Wenn es mich hungert, sättigst du mich, wenn es mich dürstet, gibst du mir zu trinken. Doch was sage ich, du speisest mich, aber sättigst mich nicht. Denn nie bin ich deiner satt geworden, nie werde ich genug von dir haben ...« Und abermals: »So groß ist deine Süße, so herrlich deine Beständigkeit, so unbeschreiblich der Ton deiner Stimme, so wunderbar deine Schönheit und die sie krönende Anmut, dass es eine grobe Unhöflichkeit wäre, auch nur zu versuchen, sie in Worten auszudrücken. Möge das Feuer, das uns verzehrt, immerfort wachsen und neue Nahrung finden und, je mehr davon verborgen bleibt, desto mehr um sich greifen und die Neidischen wie die Eifersüchtigen täuschen, so dass es stets zweifelhaft bleibt, wer von uns beiden mehr liebt, und sich zwischen uns unablässig ein wunderschöner Wettstreit abspielt, in dem beide siegen ...«
    Keine Frage, es waren schöne Briefe, und wenn er sie am Ende noch einmal durchlas, zitterte Baudolino und verliebte sich immer mehr in eine Kreatur, die ihm so glühende Worte einzugeben vermochte. Weshalb er es mit der Zeit immer unerträglicher fand, nicht zu wissen, wie Beatrix auf diese sanfte Gewalt reagiert hätte, und beschloss, sie eine Antwort geben zu lassen. Also schrieb er, wobei er ihre Schrift zu imitieren versuchte:
    »In der Liebe, die mir aus dem innersten Herzen quillt und duftender aufsteigt als jedes andere Aroma, wünscht die, die dein ist mit Leib und Seele, den dürstenden Blumen deiner Jugend die Frische ewigen Glückes ... Dir, meine freudige Hoffnung, biete ich meinen Glauben an, und mit aller Ergebenheit auch mich selbst, solange ich lebe ...«
    »O bleib mir gewogen« , antwortete er sogleich, »denn in dir liegt mein Wohlergehen beschlossen, in dir liegt meine Hoffnung und meine Ruhe. Ich bin morgens noch kaum richtig aufgewacht, schon hat meine Seele dich wiedergefunden, wohlbehütet in ihrem eigenen Innern ... «
    Darauf sie hemmungslos: »Seit jenem Augenblick, da wir uns zum ersten Mal sahen, habe ich nur dich bevorzugt, und dich bevorzugend habe ich dich gewollt, dich wollend habe ich dich gesucht, dich suchend habe ich dich gefunden, dich findend habe ich dich geliebt, dich liebend habe ich dich begehrt, dich begehrend habe ich dich in meinem Herzen über alles gestellt ... und habe von deinem Honig gekostet ... Ich grüße dich, mein Herz, mein Alles, meine einzige Freude ...«
    Diese Korrespondenz, die sich über einige Monate hinzog, spendete Baudolinos erhitztem Gemüt zunächst eine gewisse Kühlung, dann eine große Freude und schließlich eine Art flammenden Stolz, da der Liebende

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