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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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reagierte sehr freundlich, als ob er sich schon lange gewünscht hätte, jemanden zu finden, mit dem er sprechen konnte, wir machten einen Spaziergang am Fluss entlang, und er erzählte mir seine Geschichte.«
     
    Er hieß also Abdul, ganz wie ein Maure, aber seine Mutter stammte aus Hibernia, und das erklärte sein rotes Haar, denn alle, die von jener abgelegenen Insel im hohen Nordwesten kommen, haben diese Haarfarbe und stehen im Ruf, bizarr und verträumt zu sein. Der Vater war Provenzale, aus einer Familie, die sich nach der Eroberung Jerusalems vor fünfzig Jahren in Übersee niedergelassen hatte. Wie Abdul zu erklären versuchte, hatten diese noblen Franken in den Reichen jenseits des Meeres die Sitten und Gebräuche der von ihnen eroberten Völker übernommen, sie schmückten sich mit Turbanen und anderen Türkerien,sie sprachen die Sprache ihrer Feinde, und es fehlte nicht viel, dass sie auch die Vorschriften des Korans befolgten. So kam es, dass ein (zur Hälfte) hibernischer Junge mit rotem Haar den Namen Abdul trug und ein braungebranntes Gesicht hatte, braungebrannt von der Sonne Syriens, unter der er geboren war. Er dachte auf Arabisch, und auf Provenzalisch erzählte er sich die alten Sagen der eisigen Nordmeere, die er von seiner Mutter gehört hatte.
    Baudolino hatte ihn gleich gefragt, ob er nach Paris gekommen sei, um wieder ein guter Christ zu werden und so zu sprechen, wie es sich für wohlerzogene Leute gehörte, also in gutem Latein. Doch über die Gründe, warum er nach Paris gekommen war, blieb Abdul recht zurückhaltend. Er deutete lediglich an, dass ihm etwas widerfahren sei, etwas Beunruhigendes offenbar, eine Art schreckliche Prüfung, der er noch als Kind unterzogen worden sei, wonach seine Eltern beschlossen hätten, ihn nach Paris zu schicken, um ihn einer Blutrache zu entziehen. Während er davon sprach, verdüsterte sich sein Blick, er errötete, soweit ein Maure erröten kann, seine Hände zitterten, und Baudolino beschloss, das Thema zu wechseln.
    Der Junge war intelligent, schon nach wenigen Monaten in Paris sprach er sowohl Latein als auch die lokale Volkssprache, er wohnte bei einem Onkel, der Kanonikus in der Abtei von Sankt Viktor war, einer der Pilgerstätten des Wissens in jener Stadt (und vielleicht in der ganzen christlichen Welt), mit einer Bibliothek, die reicher war als die von Alexandria. Und so erklärt sich, dass in den folgenden Monaten, durch Abduls Vermittlung, auch Baudolino und der Poet Zugang zu jenem Hort der universalen Gelehrtheit bekamen.
    Baudolino fragte Abdul, was er sich während der Vorlesung notiert hatte, und sein neuer Freund sagte, in arabischer Sprache habe er sich gewisse Dinge notiert, die der Magister zur Dialektik geäußert habe, denn das Arabische sei zweifellos die am besten geeignete Sprache für Philosophie. Die anderen Notizen seien provenzalisch gewesen. Er wollte zuerst nicht darüber sprechen und sträubte sich eine Weile, aber im Ton und mit der Miene dessen, derweiter gebeten werden will, und schließlich übersetzte er einige Zeilen. Es waren Verse, und sie lauteten ungefähr: O meine Liebe in fernem Land, / deinetwegen leidet mein Herz, / und ich finde keine Arznei, / es sei denn, ich folge deinem Ruf ...
    »Schreibst du Gedichte?« fragte Baudolino.
    »Ich singe Lieder. Ich singe, was ich empfinde. Ich liebe eine ferne Prinzessin.«
    »Eine Prinzessin? Wer ist sie?«
    »Das weiß ich nicht. Ich habe sie gesehen – oder vielmehr, nicht wirklich, aber es ist, als hätte ich sie gesehen –, während ich im Heiligen Land einer Prüfung ... äh, also, während ich ein Abenteuer erlebte, von dem ich dir noch nicht erzählt habe. Mein Herz war sofort entflammt, und ich schwor ihr ewige Liebe. Ich beschloss, ihr mein Leben zu weihen. Vielleicht werde ich ihr eines Tages begegnen, aber ich habe Angst davor, dass es wirklich geschieht. Es ist so schön, sich nach einer unmöglichen Liebe zu verzehren.«
    Baudolino wollte schon »Bravo, Schlauberger« sagen, wie sein Vater Gagliaudo immer sagte, aber da fiel ihm ein, dass auch er sich nach einer unmöglichen Liebe verzehrte (obwohl er Beatrix ohne Zweifel gesehen hatte und ihr Bild ihn in schlaflosen Nächten verfolgte), und das Schicksal des armen Abdul dauerte ihn.
    So begann eine schöne Freundschaft. Noch am selben Abend erschien Abdul im Zimmer Baudolinos und des Poeten mit einem Instrument, das Baudolino noch nie gesehen hatte, ein mandelförmiges Ding mit vielen Saiten, und

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