Baudolino - Eco, U: Baudolino
Ordnung sich gehalten hat und somit auch die Sprache, die Adam mit seinem Schöpfer vor dem Sündenfall sprach, würde ich gern meinganzes Leben darauf verwenden, nach diesem Reich zu suchen.«
Bei diesen Worten war in Solomons Antlitz ein solches Leuchten getreten, dass die Freunde sich fragten, ob es nicht gut sein würde, ihn an ihren künftigen Sitzungen teilnehmen zu lassen. Der Poet fand das ausschlaggebende Argument: Dass dieser Jude im Reich des Priesters Johannes seine Ursprache und seine zerstreuten zehn Stämme wiederfinden wolle, dürfe sie nicht stören; der Priester Johannes müsse so mächtig sein, dass er sogar über die verstreuten Stämme der Juden herrschte, und warum sollte er nicht auch die Sprache Adams sprechen? Das Hauptproblem sei doch jetzt erst einmal, dieses Reich zu konstruieren, und dabei könne ein Jude genauso nützlich sein wie ein Christ.
Bei alledem hatten sie sich noch nicht entschieden, wie der Palast des Priesters beschaffen sein sollte. Sie lösten dieses Problem in der folgenden Nacht, zu fünft in Baudolinos Zimmer versammelt. Inspiriert vom genius loci entschloss sich Abdul, den neuen Freunden das Geheimnis des grünen Honigs zu enthüllen, wobei er sagte, es könne ihnen helfen, sich den Palast des Priesters nicht bloß zu denken, sondern ihn direkt vor sich zu sehen.
Rabbi Solomon sagte sofort, er kenne beträchtlich mystischere Methoden, sich Visionen zu verschaffen, für diese Nacht genüge es ihm, die vielfachen Kombinationen der Lettern des heiligen Namens Gottes zu murmeln und sie auf der Zunge zu drehen wie eine Rolle, ohne sie je zur Ruhe kommen zu lassen, daraus entstehe ein Strudel von Gedanken wie von Bildern, der sich immer schneller drehe, bis man in eine selige Erschöpfung verfalle.
Der Poet war zuerst misstrauisch, dann entschloss er sich zu probieren, wobei er die Kraft des Honigs mit der des Weins zu zähmen gedachte, und am Ende verlor er jedes Maß und faselte besser als die anderen.
So kam es, dass er, als er den richtigen Rauschzustand erreicht hatte, den Vorschlag machte – unterstützt durch fahrige Striche, die er mit einem in Wein getauchten Finger auf den Tisch malte –, dass der Palast so sein müsse wie der,welchen der Apostel Thomas für Gundophar, den König der Inder, gebaut habe: Decken und Architrave aus zyprischem Holz, das Dach aus Ebenholz, darüber eine Kuppel, gekrönt von zwei goldenen Äpfeln, auf deren jedem zwei Karfunkel schimmerten, so dass am Tag das Gold im Licht der Sonne erglänzte und bei Nacht die Edelsteine in dem des Mondes. Danach hörte er auf, sich auf sein Gedächtnis und die Autorität des Apostels zu verlassen, und sah Pforten aus Sardonyx, geschmückt mit Hörnern der Hornviper, die den Eintretenden daran hinderten, Gift in den Palast zu bringen, und Fenster aus Kristall, goldene Tische, getragen von elfenbeinernen Säulen, Lampen mit Balsamöl und schließlich das Bett des Priesters aus Saphir zum Schutze der Keuschheit, denn – so endete der Poet – »dieser Johannes mag König sein, so viel ihr wollt, aber er ist auch Priester, und daher nix mit Frauen.«
»Alles sehr schön soweit«, sagte Baudolino, »aber im Palast eines Königs, der über ein so ausgedehntes Reich gebietet, würde ich in irgendeinem Saal auch jene Automaten unterbringen, die es in Rom gegeben haben soll, die immer sofort meldeten, wenn es irgendwo in einer der vielen Provinzen einen Aufstand gab.«
»Ich glaube nicht«, meinte Abdul, »dass es im Reich des Priesters Johannes irgendwo Aufstände geben kann, wo doch überall Friede und Harmonie herrschen.« Trotzdem gefiel ihm die Idee mit den Automaten, denn schließlich wusste ja jeder, dass ein so großer Herrscher, ob Maure oder Christ, Automaten am Hof haben musste. Also sah er sie und machte sie durch eine schöne Redewendung auch für seine Freunde sichtbar: »Der Palast steht auf einem Berg, und der Berg ist aus Onyx, und sein Gipfel ist so glattpoliert, dass er glänzt wie der Mond. Der Tempel ist rund, er hat eine Kuppel aus Gold, und golden sind auch seine Wände, besetzt mit Edelsteinen, die so funkeln, dass sie im Winter heizen und im Sommer kühlen. Die Decke ist besetzt mit Saphiren, die den Himmel darstellen, und mit Karfunkeln für die Sterne. Eine vergoldete Sonne und ein versilberter Mond sind die Automaten, die über das Himmelsrund wandern, und mechanische Vögel singenjeden Tag, während vier Engel aus Goldbronze sie mit Trompeten begleiten. Der Palast erhebt
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