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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sich über einem verborgenen Brunnen, in welchem Pferdegespanne einen Mühlstein bewegen, den sie entsprechend dem Wechsel der Jahreszeiten rotieren lassen, so dass er zu einem Abbild des Kosmos wird. Unter dem Kristallboden schwimmen Fische und allerlei Fabelwesen des Meeres. Aber ich habe auch von Spiegeln gehört, in denen man alles sehen kann, was irgendwo geschieht. Das wäre doch sehr nützlich für den Priester, um auch die äußersten Grenzen seines Reiches zu kontrollieren ...«
    Der Poet, der sich immer mehr für die Architektur erwärmte, begann den Spiegel zu zeichnen und erklärte dazu: »Er ist sehr hoch oben angebracht, man steigt über hundertfünfundzwanzig Stufen aus Porphyr zu ihm hinauf ...«
    »Und aus Alabaster«, suggerierte Boron, der sich bisher schweigend der Wirkung des Honigs überlassen hatte.
    »Na gut, tun wir auch Alabaster mit rein. Und die obersten Stufen sind aus Amber und Panthera.«
    »Was ist Panthera? Der Vater von Jesus?« fragte Baudolino.
    »Red keinen Unsinn, das steht bei Plinius, das ist ein bunter Stein. Aber in Wirklichkeit steht der Spiegel auf einem einzigen Pfeiler. Oder nein, dieser Pfeiler stützt eine Basis, auf der zwei Pfeiler stehen, und diese stützen eine Basis, auf der vier Pfeiler stehen, und so immer weiter, bis auf der mittleren Basis vierundsechzig Pfeiler stehen. Diese stützen eine Basis mit zweiunddreißig Pfeilern, diese eine mit sechzehn, und so immer weiter, bis ganz oben nur noch ein einziger Pfeiler steht, auf dem sich der Spiegel erhebt.«
    »Hör zu«, sagte Rabbi Solomon, »bei dieser Pfeilerkonstruktion stürzt der Spiegel runter, sobald sich einer unten nur leise anlehnt.«
    »Du sei still, du bist falsch wie die Seele des Judas. Erst findest du nichts dabei, wenn euer Ezechiel einen Tempel sieht, bei dem niemand kapiert, wie er gebaut sein soll, und wenn ein christlicher Maurer kommt und dir sagt, dass er zusammenkracht, antwortest du ihm, Ezechiel hätte haltStimmen gehört und nicht auf Figuren geachtet, und dann darf ich nur Spiegel bauen, die nicht umkippen? Ich will dir was sagen, ich stelle zwölftausend Bewaffnete als Wachen für den Spiegel auf, alle rings um den untersten Pfeiler, damit sie gut auf ihn aufpassen und sich keiner anlehnen kann. In Ordnung?«
    »In Ordnung, in Ordnung, der Spiegel ist deine Sache«, sagte der Rabbi konziliant.
    Abdul verfolgte diese Reden lächelnd, während er versonnen ins Leere blickte, und Baudolino begriff, dass er in jenem Spiegel mindestens einen Schatten seiner fernen Prinzessin erblicken wollte.
     
    »In den nächsten Tagen mussten wir uns beeilen, denn der Poet musste wieder zurück, und er wollte den Rest der Geschichte noch mitkriegen«, sagte Baudolino zu Niketas. »Doch wir waren jetzt auf dem richtigen Weg.«
    »Auf dem richtigen Weg? Aber dieser Priester war doch, so will mir scheinen, noch unglaubwürdiger als die Heiligen Drei Könige in Kardinalsgewändern und Karl der Große inmitten der Himmlischen Heerscharen ...«
    »Der Priester würde schon noch glaubwürdig werden, wenn er erst einmal ein persönliches Lebenszeichen von sich gab, in Gestalt eines Briefes an Friedrich.«

 
    12. Kapitel
    Baudolino schreibt den Brief des
    Priesters Johannes
     
    Auf die Idee, einen Brief des Priesters Johannes zu schreiben, kamen sie durch eine Geschichte, die Rabbi Solomon von den Arabern in Spanien gehört hatte. Ein Seefahrer namens Sindbad, der zur Zeit des Kalifen Harun al-Raschid gelebt hatte, war eines Tages schiffbrüchig auf einer Insel gelandet, die sich genau auf der Linie des Äquinoktiums befand, so dass dort Tag und Nacht jeweils genau zwölf Stunden dauerten. Sindbad sagte, er habe dort viele Inder gesehen, also musste die Insel in der Nähe von Indien sein. Die Inder brachten ihn zu dem Prinzen von Sarandib. Dieser saß, wenn er ausritt, gewöhnlich auf einem Thron, der acht Ellen hoch auf dem Rücken eines Elefanten befestigt war, und wurde rechts und links in Zweierreihen von seinen Vasallen und Ministern begleitet. Vor ihm ging ein Herold mit einem goldenen Speer und hinter ihm ein zweiter mit einem goldenen Stab, der an der Spitze einen Smaragd hatte. Wenn er vom Thron herabstieg, um sich zu Pferd voranzubewegen, folgten ihm tausend Reiter, gekleidet in Seide und Brokat, und ein anderer Herold lief ihm voraus und rief, es nahe ein König, der eine Krone besitze, wie sie nicht einmal Salomon je besessen habe. Der Prinz gab Sindbad eine Audienz und stellte ihm viele Fragen

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