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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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denn die Rolle war mit hebräischen Lettern beschrieben. Er versuchte sich zu entschuldigen, es sei dies ein Buch, das die Christen zu Recht verabscheuten, das berüchtigte Toledot Jeschu , in dem erzählt werde, dass Jesus der Sohn einer Kurtisane und eines Söldners gewesen sei, eines gewissen Pantera. Aber gerade die Kanoniker von Sankt Viktor hätten ihn gebeten, ihnen einige Seiten daraus zu übersetzen, weil sie sehen wollten, wie weit die Perfidie der Juden gehenkönne. Er mache diese Arbeit bereitwillig, denn auch er finde dieses Buch zu streng, da Jesus gewiss ein tugendhafter Mensch gewesen sei, auch wenn er die Schwäche gehabt habe, sich zu Unrecht für den Messias zu halten, aber vielleicht sei er dazu vom Fürsten der Finsternis verführt worden, auch die Evangelien räumten ja ein, dass der Versucher es mehr als einmal bei ihm probiert habe.
    Nach der Form des Tempels gemäß Ezechiels Beschreibung gefragt, lächelte er: »Selbst den aufmerksamsten Kommentatoren des heiligen Textes ist es nicht gelungen, die genaue Form des Tempels zu bestimmen. Auch der große Rabbi Solomon ben Isaak hat eingeräumt, dass man, folgt man dem Buchstaben des Textes, nicht begreift, wo die äußeren nördlichen Räume sind, wo sie im Westen anfangen und wie viele sich von dort aus nach Osten erstrecken und so weiter. Ihr Christen versteht nicht, dass der heilige Text aus einer Stimme hervorgeht. Wenn der Herr, ha-qadosch baruch hu , der Heilige sei gesegnet immerdar, zu seinen Propheten spricht, lässt er sie seine Stimme hören, er lässt sie nicht Figuren sehen, wie es bei euch mit euren bemalten Seiten vorkommt. Gewiss ruft die Stimme Bilder im Herzen des Propheten hervor, aber diese Bilder sind nicht starr, sie zerfließen, sie wechseln die Form je nach der Melodie jener Stimme, und wenn ihr die Worte des Herrn, immerdar gesegnet sei der Heilige, auf Bilder reduzieren wollt, friert ihr jene Stimme ein, als wäre sie frisches Wasser, das zu Eis wird und den Durst nicht mehr stillt, sondern die Glieder in die Starre des Todes fallen lässt. Der Kanonikus Richard möchte, um den spirituellen Sinn jedes Teils des Tempels zu begreifen, ihn gerne nachbauen, so wie es ein Maurermeister tun würde, aber es wird ihm nicht gelingen. Visionen gleichen den Träumen, in denen die Dinge sich ineinander verwandeln, nicht den Bildern in euren Kirchen, auf denen die Dinge immer gleich bleiben.«
    Alsdann fragte Rabbi Solomon, warum seine Besucher wissen wollten, wie der Tempel beschaffen war, und sie erzählten ihm von ihrer Suche nach dem Reich des Priesters Johannes. Der Rabbiner zeigte sich sehr interessiert. »Vielleicht wisst ihr nicht«, sagte er, »dass auch unsere Textevon einem geheimnisvollen Reich im fernen Osten sprechen, wo noch die zehn verstreuten Stämme Israels leben sollen.«
    »Ich habe von diesen Stämmen gehört«, sagte Baudolino, »aber ich weiß nur sehr wenig über sie.«
    »Steht alles geschrieben. Nach dem Tod Salomons gerieten die zwölf Stämme, in welche Israel damals geteilt war, miteinander in Streit. Nur zwei von ihnen, der Stamm Juda und der Stamm Benjamin, blieben dem Geschlecht Davids treu, die zehn anderen zogen nach Norden, wo sie dann von den Assyrern besiegt und zu Sklaven gemacht wurden. Man hat nie wieder von ihnen gehört. Esra sagt, sie seien fortgezogen in ein niemals zuvor von Menschen bewohntes Land, in eine Gegend namens Arsareth, und andere Propheten haben geweissagt, eines Tages würden sie wiedergefunden werden und triumphierend zurückkehren nach Jerusalem. Nun ist vor über hundert Jahren einer unserer Brüder, Eldad vom Stamme Dan, in Qayrawan eingetroffen, in Afrika, wo eine Gemeinde des Auserwählten Volkes lebt, und hat gesagt, er komme aus dem Reich der zehn verstreuten Stämme, einem gesegneten Land, wo man ein friedliches, durch keinerlei Untat gestörtes Leben führe und wo in den Flüssen wirklich Milch und Honig flössen. Dieses Land sei von allen anderen abgetrennt durch den Fluß Sambatyon, der so breit sei, dass nur der Pfeil des stärksten Bogens hinüberreiche, der aber kein Wasser führe, es flössen dort vielmehr in reißendem Strom nur Sand und Steine, die einen solchen Lärm machten, dass man ihn auch noch eine halbe Tagereise weit höre, und diese tote Materie fließe so schnell, dass jeder, der den Fluss überqueren wolle, von ihr fortgerissen werde. Nur am Sabbat halte dieser steinerne Fluss inne, und nur am Sabbat könne man ihn daher überqueren, doch keiner

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