Baudolino - Eco, U: Baudolino
über das Reich, aus dem er kam. Am Ende bat er ihn, dem Kalifen Harun al-Raschid einen Brief zu überbringen, in dem stand: »Es entbietet Dir seinen Friedensgruß der Prinz von Sarandib, vor dem tausend Elefanten stehen und in dessen Palast die Zinnen aus Juwelen sind. Wir betrachten Dich als einen Bruder und bitten Dich, uns eine Antwort zu senden. Und wir bitten Dich, dieses bescheidene Geschenk anzunehmen.« Das bescheidene Geschenk war einriesiger Pokal aus Rubin, bis zum Rand mit Perlen gefüllt. Geschenk und Brief hatten den Namen des großen Harun al-Raschid noch angesehener in der arabischen Welt gemacht.
»Sicher war dieser Sindbad im Reich des Priesters Johannes gewesen«, sagte Baudolino, »Nur dass es auf Arabisch anders heißt. Aber er hat gelogen, als er sagte, der Priester habe den Brief und das Geschenk an den Kalifen gesandt, denn Johannes ist ein Christ, wiewohl ein nestorianischer, und wenn er jemandem einen Brief zu schicken hätte, dann würde er ihn an Kaiser Friedrich schreiben.«
»Dann lass uns doch diesen Brief schreiben«, sagte der Poet.
Bei ihrer Jagd nach Daten und Fakten, die sie zur Konstruktion des gesuchten Priesterreiches brauchen konnten, stießen unsere Freunde auf einen gewissen Kyot. Er war ein junger Mann aus der Champagne, der gerade eine Reise in die Bretagne hinter sich hatte und noch ganz erfüllt war von Geschichten über ruhelos umherziehende Ritter, Zauberer, Feen und Geister, die sich die Bewohner jenes Landes abends am Feuer erzählten. Als Baudolino ihm gegenüber die Wunder des Palastes des Priesterkönigs Johannes erwähnte, rief er ganz aufgeregt: »Ja, von solch einem Schloss oder einem ganz ähnlichen habe ich auch schon in der Bretagne gehört! Es ist das Schloss, in dem sie den Gradal aufbewahren!«
»Was weißt du über den Gradal?« fragte Boron mit einem plötzlichen Misstrauen, als hätte Kyot die Hand nach etwas ausgestreckt, das ihm gehörte.
»Was weißt denn du darüber?« fragte Kyot ebenso misstrauisch zurück.
»He, he«, mischte sich Baudolino ein, »wie es scheint, liegt euch beiden sehr viel an diesem Gradal. Was ist das denn? Soweit ich weiß, müsste ein gradalis so etwas wie ein Napf oder eine Schüssel sein.«
»Napf, Schüssel!« sagte Boron mit mildem Tadel. »Eher ein Kelch.« Dann, als entschlösse er sich, ein Geheimnis zu lüften: »Ich wundere mich, dass ihr noch nie davon gehört habt. Es ist die kostbarste Reliquie der ganzen Christenheit,der Kelch, in welchem Jesus beim Letzten Abendmahl den Wein in Blut verwandelt hat und in welchem dann Joseph von Arimathia das Blut aus der Seite des Gekreuzigten aufgefangen hat. Manche sagen, der Name dieses Kelches sei Saint Graal , andere sagen statt dessen Sangreal , königliches Blut, denn wer ihn besitze, gehöre dadurch zu einem Geschlecht auserwählter Ritter, die vom selben Stamme seien wie David und wie unser Herr Jesus Christus.«
»Graal oder Gradal?« fragte der Poet, der sofort aufhorchte, wenn er von etwas hörte, das eine Macht verleihen konnte.
»Man weiß es nicht«, sagte Kyot. »Einige sagen auch Grasal und andere Graalz. Und es ist nicht gesagt, dass er ein Kelch ist. Die ihn gesehen haben, erinnern sich nicht an die Form, sondern wissen nur, dass er ein Gegenstand war, der außergewöhnliche Kräfte besaß.«
»Wer hat ihn denn gesehen?« fragte der Poet.
»Sicher die Ritter, die ihn in Broceliande hüteten. Aber auch von ihnen hat sich jede Spur verloren, ich habe nur Leute kennengelernt, die von ihm erzählen.«
»Es wäre besser, wenn man von dieser Sache weniger erzählen würde und lieber versuchte, mehr darüber zu wissen«, meinte Boron. »Dieser junge Mann war gerade in der Bretagne, und kaum hat er davon reden gehört, schon sieht er mich an, als wollte ich ihm etwas wegnehmen, was er gar nicht hat. So geht es allen. Man hört irgendwo vom Gradal reden, und schon glaubt man, man sei der einzige, der ihn finden werde. Ich war auch in der Bretagne, sogar auf den Inseln jenseits des Meeres, ich habe dort volle fünf Jahre verbracht, ohne zu erzählen, nur um zu suchen ...«
»Und hast du ihn gefunden?« fragte Kyot.
»Das Problem ist nicht, den Gradal zu finden, sondern die Ritter, die wussten, wo er sich befand. Ich bin durchs Land gezogen und habe nach ihnen gefragt, aber ich bin ihnen nie begegnet. Vielleicht war ich kein Auserwählter. Und jetzt seht ihr mich hier zwischen alten Pergamenten wühlen in der Hoffnung, eine Spur zu entdecken, die mir beim
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