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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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anderen darüber reden hörte, ganz neu vor, so als sehe er es aus einem neuen Blickwinkel, als befände er sich auf dem Gipfel eines jener Berge, die auf den Ikonen gemalt sind, und sähe die Steine so, wie sie die Apostel auf dem Gipfel sahen, und nicht wie die Gläubigen unten. Außerdem machte es ihm Vergnügen, die Lateiner zu befragen, die in allem so anders als die Griechen waren, angefangen bei ihren ganz neuen, untereinander so verschiedenen Sprachen.
     
    Niketas und Baudolino saßen einander gegenüber in einem Turmzimmer, das doppelte Spitzbogenfenster nach drei Seiten hatte. Durch eines sah man auf das Goldene Horn und das gegenüberliegende Ufer von Pera mit dem Turm von Galata, der sich aus seiner Umgebung von engzusammengedrängten Häusern und Hütten erhob; durch das andere sah man den Hafenkanal in den Sankt-Georgs-Arm einmünden; das dritte ging nach Westen, und dort hätte man ganz Konstantinopel sehen müssen. Doch an jenem Morgen war die zarte Farbe des Himmels verdunkelt vom dichten Rauch aus den Palästen und Kirchen, die vom Feuer verzehrt wurden.
    Es war die dritte Feuersbrunst, von der die Stadt in den letzten neun Monaten heimgesucht wurde. Die erste hatte die Lager- und Vorratshäuser des Hofes zerstört, vom Blachernenpalast im Nordosten bis hinunter zur Konstantinsmauer, die zweite hatte sämtliche Warenhäuser der Venezianer, Amalfitaner, Pisaner und Juden vernichtet, von Perama bis fast an die Küste, ausgenommen allein jenes Viertel der Genueser unterhalb der Akropolis, in dem sie sich befanden, und die dritte wütete jetzt in der ganzen Stadt.
    Unten tobte ein wahres Flammenmeer, die Arkaden brachen zusammen, die Paläste stürzten ein, die Säulen knickten um, die Feuerkugeln, die aus dem Zentrum des Brandes hervorstoben, verzehrten die weiter entfernten Häuser, wonach die Flammen, getrieben von launischen Winden, die das Inferno genussvoll nährten, zurückkehrten, um zu verschlingen, was sie zuvor noch ausgespart hatten. Darüber ballten sich dichte Wolken, an der Unterseite noch rötlich vom Widerschein des Feuers, aber sonst von einer anderen Farbe, bei der man nicht zu sagen vermochte, ob sie auf einer Täuschung durch die Strahlen der aufgehenden Sonne beruhte oder auf der Natur der Spezereien, der Hölzer und anderen Materialien, die dort verbrannten. Überdies kamen je nach der Windrichtung aus verschiedenen Teilen der Stadt Gerüche von Muskatnuss, Zimt, Pfeffer und Safran, Senf oder Ingwer – so dass die schönste Stadt der Welt zwar brannte, aber wie eine Räucherpfanne voller Duftstoffe.
    Baudolino stand mit dem Rücken zum dritten Fenster und sah aus wie ein dunkler Schatten, umgeben vom zwiefachen Schein des anbrechenden Tages und der Feuersbrunst. Niketas hörte ihm teils zu, teils vergegenwärtigteer sich noch einmal die Geschehnisse der vergangenen Tage.
     
    An jenem Morgen, es war Mittwoch, der 14. April Anno Domini 1204 – oder im Jahre 6712 seit Anbeginn der Welt, wie man in Byzanz zu zählen pflegte –, hatten sich die Barbaren seit nunmehr zwei Tagen endgültig in den Besitz von Konstantinopel gebracht. Das byzantinische Heer, das auf den Paraden so prachtvoll glänzte mit seinen schimmernden Rüstungen, Helmen und Schilden, und die kaiserliche Wache der englischen und dänischen Söldner mit ihren schrecklichen Doppeläxten, die noch am Freitag den Feinden tapfer entgegengetreten und nicht gewichen waren, hatten sich am Montag, als die Feinde schließlich die Mauern überwanden, gleichsam in Luft aufgelöst. Es war ein so unerwarteter Sieg gewesen, dass die Sieger gegen Abend von selbst innehielten, da sie eine nächtliche Rückeroberung fürchteten – und um sich gegen diese zu schützen, hatten sie den neuen Brand gelegt. Doch am nächsten Morgen musste die ganze Stadt entdecken, dass der Usurpator Alexios Dukas Murtzuphlos ins Hinterland geflohen war. Die Bürger, nun verwaist und besiegt, verfluchten jenen Thronräuber, dem sie noch am Abend zuvor gehuldigt hatten, so wie sie ihn hatten hochleben lassen, als er seinen Vorgänger erwürgt hatte, und da sie nicht wussten, was sie tun sollten (Feiglinge, Feiglinge, Feiglinge, welch eine Schande, jammerte Niketas über diese Kapitulation), versammelten sie sich zu einem großen Zug, mit dem Patriarchen an der Spitze und Priestern aller Arten in ihren rituellen Gewändern und Mönchen, die um Gnade flehten, bereit, sich den neuen Machthabern zu verkaufen, wie sie sich seit jeher den alten verkauft

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