Baudolino - Eco, U: Baudolino
villeicht auch für uns und wo diese Alemannen ja so viel herumziehen und immer wieder in unsere gegend kommen kanns ja sein daz du uns ab und zu besuchen kommst und ich hab ihm geschworen daz ich daz tun will und bin rasch rausgegangen aber ein wenig hats mir schon auch das herz zusammengezogen wie ich meine mutter weinen sah als würde ich in den tod gehen
sô sind wir davongegangen und der herr hat gesagt ich sollte ihn dorthin führen wo das Castrum der Kaiserlichen ist und ich hab gesagt das ist ganz leicht wir brauchen blôsz der sonne zu folgen soll heiszen dorthin gehen woher sie kommt
und wie wir sô gehn und schon die zelte zu sehn sind kommt uns eine compania soldaten entgegen alle im harnisch und im selben moment in dem sie uns sehn gehen sie auf die knie und senken die Piken und die Feldzeichen und heben die Schwerter und ich frage mich na was soll denn das bedeuten? da rufen die Soldaten Chaiser hier und da und Sanctissimus Rex und küssen dem herrn die hand und mir fällt beinah der kiefer runter so weit hab ich das maul aufgerissen vor staunen denn erst jetzt hab ich begriffen daz dieser herr mit dem roten bart der Kaiser Frîderîch selber war in fleisch und bein und ich hatt ihm den ganzen abend lang lügen erzêlt als ob er irgendein Dorfdepp wär!
jetzt wird er mir den kopf abhaun lassen dachte ich bei mir immerhin hats ihn dann VII Moneten gekostet denn wenn er meinen kopf haben wollte hätt er ihn gestern abend gratis et amoredei haben können
aber er sagt Ihr braucht keine angst mehr zu haben es wird alles gut ich bringe euch grôsze Neuigkeiten von einer Vision! komm sag allen was für eine vision du gehabt hast im wald! na und ich werfe mich nieder als ob ich plötzlich die fallsucht hätte und verdrehe die ougen und lasse mir sabber aus dem mund flieszen und schreie lauthals Ich sehe! ich sehe! und erzêle die ganze Lügenmär von San Baudolino die mich zum Wahrsager macht und alle loben domineddio den Herrn im Himmel und sagen Miracolo miracolo
und da waren auch die gesandten aus Tortona die sich noch nicht entschieden hatten ob sie sich ergeben sollten oder nicht aber als sie mich hatten reden hören warfen sie sich lang ausgestreckt auf den boden und sagten wenn auch die Heiligen sich gegen sie stellten dann wärs besser sich zu ergeben denn lange könnts sô nicht weitergehn
und dann sah ich die Tortonesen die aus der stadt herauskamen männer frauen kinder und greise und alle weinten und klagten indes die alemannen sie wegführten als wärens schafe und andres schlachtvieh und die aus Pavia schrien Alé Alé und stürmten nach Tortona hinein mit äxten und hämmern und keulen und piken denn eine stadt dem erdboden gleichzumachen daz war ihnen eine grôsze lust
und gegen abend sah ich auf dem ganzen hügel einen grôszen rauch und Tortona war quasi nicht mehr da sô ist der krieg wie mein vater Galiaudo immer sagt der krieg ist eine grôsze böse Bestie
aber besser sie als wir
und am abend ist der kaiser ganz zufrieden in die Tabernacula zurückgekehrt und hat mir in die wange gekniffen wie es mein vater nie getan hat und dann hat er einen herren gerufen der kein anderer war als der gute kanonikus Rahewin und hat zu ihm etwas gesagt was ich nit gut verstanden hab aber er wollte daz ich schreiben lernte und den abakus und daz ich auch die grammatik lernte von der ich damals noch gar nix wuszte aber jetzt weisz ich so langsam allmêhelich was sie ist nêmlich eine sache die sich mein vater überhaupts nie nit hätte vorstellen können
wie schön es ist gebildet zu sein wer hätte das gedacht!
gratia agamus domini dominus also in summa Dank sei dem Herrn im Himmel dafür
aber eine kronik zu schreiben bringt einen schon ziemlîch ins schwitzen sogar im winter und ich fürchte auch daz die lampe alsbald erlischt und wie jener andre sagte der daumen schmerzt mich
2. Kapitel
Baudolino begegnet Niketas Choniates
»Was ist das?« fragte Niketas, nachdem er das Pergament in den Händen herumgedreht und einige Zeilen zu lesen versucht hatte.
»Das war meine erste Schreibübung«, antwortete Baudolino. »Seit ich das geschrieben habe – ich war vielleicht vierzehn und noch kaum mehr als ein Waldbauernbub –, trage ich es überall mit mir herum wie ein Amulett. Danach habe ich noch viele andere Pergamente beschrieben, in manchen Zeiten Tag für Tag. Es kam mir so vor, als ob ich überhaupt nur existierte, um abends aufzuschreiben, was mir tagsüber widerfahren war. Später
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