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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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genügten mir knappe monatliche Notizen, wenige Zeilen, um mich an die wichtigsten Geschehnisse zu erinnern. Und ich sagte mir, wenn ich einmal in fortgeschrittenem Alter sein würde – wie man es jetzt sagen könnte –, würde ich anhand dieser Aufzeichnungen die Gesta Baudolini verfassen. So trug ich auf meinen Reisen die Geschichte meines Lebens mit mir herum. Doch bei der Flucht aus dem Reich des Priesters Johannes ...«
    »Priester Johannes? Nie gehört ...«
    »Ich werde noch von ihm sprechen, vielleicht sogar zu viel. Was ich sagen wollte, bei jener Flucht habe ich meine Aufzeichnungen verloren. Es war, als hätte ich mein Leben selbst verloren.«
    »Erzähl mir, woran du dich erinnerst. Ich sammle Bruchstücke von Geschehnissen, Splitter von Begebenheiten und gewinne daraus eine Geschichte, die sich anhört, als sei sie durchwirkt von einem Plan der Vorsehung. Du hast mich gerettet und mir dadurch das bisschen Zukunft gegeben, das mir noch verbleibt. Zum Dank will ich dir die Vergangenheit wiedergeben, die du verloren hast.«
    »Aber vielleicht ist meine Geschichte ja sinnlos ...«
    »Keine Geschichte ist sinnlos. Und ich bin einer von denen, die den Sinn auch dort zu finden wissen, wo die anderen ihn übersehen. Danach wird die Geschichte zu einem Buch der Lebenden, wie eine helltönende Posaune, deren Klang die Toten aus den Gräbern auferstehen lässt ... Ich brauche nur etwas Zeit, ich muss die Geschehnisse bedenken, sie miteinander verbinden, die Zusammenhänge entdecken, auch die weniger sichtbaren. Aber wir haben ja nichts anderes zu tun, deine Genueser sagen, es wird noch ein paar Tage dauern, bis sich die Wut dieser Hunde gelegt hat.«
    Niketas Choniates, vormals Redner am Hofe, oberster Richter des Reiches, Richter des Velums und Logothet der Sekreta oder – wie man bei den Lateinern sagen würde – Kanzler des Kaisers von Byzanz, zugleich Geschichtsschreiber vieler Komnenen sowie der Angeloi, betrachtete neugierig den Mann, der da vor ihm stand. Baudolino hatte ihm gesagt, sie seien sich schon einmal in Kalliupolis am Hellespont begegnet, zur Zeit Kaiser Friedrichs, aber wenn Baudolino damals dabei gewesen war, dann musste er unauffällig zwischen den Ministerialen gestanden haben, während Niketas, der im Namen des Basileus verhandelt hatte, viel schwerer zu übersehen war. Log dieser Lateiner? Jedenfalls hatte er ihn vor der Wut der Invasoren gerettet, hatte ihn an einen sicheren Ort gebracht, ihn wieder mit seiner Familie vereinigt und versprochen, ihn heil aus Konstantinopel hinauszubringen.
    Niketas betrachtete seinen Retter. Der Mann sah weniger wie ein Christ als wie ein Sarazene aus. Ein sonnenverbranntes Gesicht, eine bleiche Narbe quer über die ganze Wange, ein Kranz noch rotblonder Haare, der seinem Kopf etwas Löwenhaftes verlieh. Niketas wäre wohl recht erstaunt gewesen, wenn er erfahren hätte, dass dieser Mann bereits über sechzig Jahre alt war. Er hatte sehr große Hände, und wenn er sie verschränkt im Schoße hielt, sah man sofort die knotigen Knöchel. Bauernhände, mehr für die Hacke als für das Schwert gemacht.
    Gleichwohl sprach er ein flüssiges Griechisch, ohne beijedem Wort feine Tröpfchen zu spucken, wie es die Fremden gewöhnlich taten, und Niketas hatte ihn erst vor kurzem mit den Invasoren in ihrer rauhen Sprache reden hören, die er schnell und trocken sprach, wie einer, der sie auch zum Schimpfen und Beleidigen zu gebrauchen weiß. Im übrigen hatte ihm Baudolino am Abend zuvor gesagt, dass er eine Gabe besitze: Es genüge ihm, zwei Leute in irgendeiner Sprache miteinander reden zu hören, und nach kurzer Zeit sei er in der Lage, mit ihnen zu sprechen. Eine einzigartige Gabe, von der Niketas gedacht hätte, sie sei nur den Aposteln gewährt.
    Das Leben am Hofe, zumal an diesem, hatte Niketas gelehrt, die Menschen mit stillem Misstrauen zu taxieren. Was ihm an Baudolino auffiel, war, dass dieser Lateiner bei allem, was er sagte, sein Gegenüber mit einer verhaltenen Ironie ansah, als wolle er ihm bedeuten, seine Worte nicht allzu ernst zu nehmen. Eine schlechte Angewohnheit, die man jedem beliebigen zubilligen mochte, nur nicht einem, von dem man eine wahrheitsgemäße Aussage erwartete, um sie dann in Geschichtsschreibung zu übersetzen. Andererseits war Niketas von Natur aus neugierig. Er liebte es, andere erzählen zu hören, und nicht nur von Dingen, die ihm noch unbekannt waren. Auch was er bereits mit eigenen Augen gesehen hatte, kam ihm, wenn er einen

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