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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Herr Otto beim Übergang von der Chronica sive Historia de duabus civitatibus
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    zu den Gesta Friderici widersprach. Darum kam er zu dem Schluß, daß er, um ein vollendeter Lügner zu werden, sich auch die Reden der anderen anhören mußte, um zu sehen, wie die Leute sich abwechselnd von der einen oder der anderen Sache überzeugen ließen. Über die lombardischen Städte zum Beispiel hörte er mehrere Gespräche zwischen dem Kaiser und Bischof Otto mit an.
    »Wie kann man nur so barbarisch sein? Nicht umsonst trugen ihre Könige einst eine Krone aus Eisen!« erregte sich Friedrich.
    »Hat ihnen denn niemand beigebracht, daß man dem Kaiser Respekt schuldet? Baudolino, ist dir klar, was das heißt? Sie maßen sich die regalia an!«
    »Und was sind diese regalioli, lieber Vater?« Alle lachten, und besonders laut lachte Herr Otto, der noch das alte Latein konnte, das gute, in dem ein regaliolus ein Piephahn war.
    »Regalia, regalia, iura regalia, Baudolino, du Holzkopf«, rief Friedrich. »Das sind die Rechte, die mir zustehen, zum Beispiel die Ernennung der Richter, die Erhebung von Steuern auf öffentlichen Straßen, auf Märkten, auf den schiffbaren Flüssen, das Recht, Münzen zu prägen, und... und... und was noch, Rainald?«
    »... die Nutzung der materiellen Erträge aus den Geldbußen und Verurteilungen, aus der Aneignung von Erbschaften ohne legitime Erben, aus der Konfiskation wegen krimineller
    Tätigkeit oder wegen Schließung inzestuöser Ehen, ebenso die Nutzung der Abgaben von den Erträgen der Bergwerke, der Salinen, der Fischteiche, auch der Prozentsätze aller im öffentlichen Raum gefundenen Schätze«, fuhr Rainald von Dassel fort, der bald darauf zum Kanzler ernannt werden sollte, also zum zweiten Mann des Reiches.
    »Genau. Und all diese Rechte haben sich diese Städte
    angemaßt. Sie müssen jeden Sinn für das Richtige und das Gute
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    verloren haben, welcher Dämon hat ihnen so den Verstand vernebelt?«
    »Mein lieber Neffe und Kaiser«, unterbrach ihn Otto, »du denkst offenbar an Mailand, an Pavia und an Genua, als wären sie Ulm oder Augsburg. Die Städte in Deutschland sind durch den Willen eines Fürsten entstanden und haben sich von Anfang an zu ihren Fürsten bekannt. Bei den italienischen Städten ist das anders. Sie sind gegründet worden, als die deutschen Kaiser mit anderen Dingen beschäftigt waren, und sie sind gewachsen, indem sie sich die Abwesenheit ihrer Fürsten zunutze machten.
    Wenn du von Stadtvögten sprichst, die du ihnen vorsetzen willst, dann empfinden sie diese pofestatis insolentiam als ein unerträgliches Joch und lassen sich lieber von selbstgewählten Konsuln regieren.«
    »Gefällt es ihnen denn nicht, sich von ihrem Kaiser schützen zu lassen und teilzuhaben an der Würde und dem Ruhm eines Reiches?«
    »Das gefällt ihnen sehr, und um nichts auf der Welt möchten sie auf diesen Vorteil verzichten, sonst würden sie bald irgendeinem anderen Monarchen zur Beute fallen, dem Kaiser von Byzanz oder womöglich dem Sultan von Ägypten. Aber ihr Kaiser soll ihnen möglichst fern bleiben. Du lebst umgeben von deinen Rittern, vielleicht machst du dir nicht klar, daß in diesen Städten andere Verhältnisse herrschen. Sie erkennen die großen Lehnsherren der Ländereien und Wälder nicht an, da in der Regel auch Ländereien und Wälder zu den Städten gehören -
    außer denen des Markgrafen von Montferrat und wenigen
    anderen. Bedenke, daß in den Städten junge Leute, die ein Handwerk betreiben und deinen Hof nie betreten dürften, sich um die Verwaltung kümmern und Befehle erteilen, und manche sind sogar schon zur Ritterwürde erhoben worden...«
    »Da sieht man's, die Welt steht kopf!« rief Friedrich.
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    »Mein lieber Vater«, mischte sich Baudolino ein, »du
    behandelst doch aber auch mich wie einen aus deiner Familie, obwohl ich im Dreck aufgewachsen bin. Wie paßt das
    zusammen?«
    »Sehr gut paßt das zusammen, wenn ich es will, kann ich dich auch zum Herzog machen, denn ich bin der Kaiser und kann jeden beliebigen per Dekret in den Adelsstand erheben. Das heißt aber nicht, daß jeder beliebige sich selbst adeln kann!
    Begreifen denn diese Städter nicht, daß, wenn die Welt
    kopfsteht, auch sie ihrem Untergang entgegengehen?«
    »Offenbar nicht, lieber Neffe«, sagte Otto. »Diese Städte mit ihrer Art, sich selbst zu regieren, sind mittlerweile der Ort, an dem sich aller Reichtum konzentriert, die Händler kommen von überallher zusammen, und die

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