Baudolino
Richtung gut. Der Poet sagte nichts, er schien jeden Willen verloren zu haben, und jemand mußte sein Pferd am Zügel nehmen, um ihn mit fortzuziehen.
Als sie gerade aufbrechen wollten, sah Baudolino einen der beiden verschleierten Getreuen des Diakons auf sich zukommen.
Er trug eine Schatulle. »Hier ist das Laken mit seinen Zügen«, sagte er. »Er wollte, daß du es bekommst. Nutze es gut.«
»Flieht ihr auch?«
Der Verschleierte schüttelte den Kopf. »Ob hier oder drüben, wenn es denn ein Drüben gibt, für uns ist das gleich. Uns erwartet das Los unseres Herrn. Wir werden hierbleiben und die Hunnen anstecken.«
Kaum waren sie aus der Stadt, bot sich ihnen ein
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unheilverkündender Anblick. Unter den blauen Hügeln
flackerten Flammen. Anscheinend hatte ein Teil der Hunnen am Morgen begonnen, um das Schlachtfeld herumzureiten, und war nun, einige Stunden später, schon am See angelangt.
»Schnell«, rief Baudolino verzweifelt, »alle dorthin, im Galopp!«
Die anderen verstanden nicht. »Wieso dorthin, wenn dort schon diese Kerle sind?« fragte der Boidi. »Eher hier lang, vielleicht kommen wir bloß noch im Süden durch.«
»Macht, was ihr wollt, ich will dorthin!« schrie Baudolino und preschte los.
»Er ist verrückt geworden, wir müssen ihm folgen, damit er sich nichts antut«, beschwor Colandrino die anderen.
Doch Baudolino hatte sie bereits weit hinter sich gelassen und ritt, auf den Lippen den Namen Hypatias, dem sicheren Tod entgegen. Nach einer halben Stunde wilden Galopps hielt er an, als er eine Gestalt sehr schnell auf sich zukommen sah. Es war Gavagai.
»Du ganz ruhig sein«, sagte er. »Ich sie gesehen. Sie jetzt in Sicherheit.« Die gute Nachricht verwandelte sich jedoch rasch in eine Quelle der Verzweiflung, denn dies war es, was Gavagai zu berichten hatte: Die Hypatien waren rechtzeitig vor der Ankunft der Hunnen gewarnt worden, und zwar von den Satyrn, die von ihren Höhen herabgestiegen waren und sie zusammengeholt hatten. Als Gavagai eintraf, waren sie gerade dabei, sie fortzuführen, hinauf in die Berge, wo nur sie sich bewegen konnten und die Hunnen nie hingelangen würden.
Hypatia hatte bis zuletzt gewartet, von ihren Gefährtinnen schon am Arm gezogen, um Nachricht von Baudolino zu hören, und sie hatte nicht mitgehen wollen, bevor sie nicht wußte, wie es ihm ergangen war. Als sie die Botschaft von Gavagai hörte,
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beruhigte sie sich, und unter Tränen lächelnd sagte sie ihm, er solle ihn von ihr grüßen, und zitternd trug sie ihm auf, ihm auszurichten, er solle fliehen, denn sein Leben sei in Gefahr, und schluchzend hinterließ sie ihm ihre letzte Botschaft: Sie liebe ihn, und sie würden sich niemals wiedersehen.
Baudolino fuhr ihn an, er sei wohl verrückt geworden, er könne doch Hypatia nicht in die Berge gehen lassen, er werde sie holen und mitnehmen. Aber Gavagai erwiderte, dafür sei es zu spät, denn bevor er dort hinkommen werde, wo übrigens inzwischen die Hunnen uneingeschränkt herrschten, würden die Hypatien schon wer weiß wo sein. Dann, seinen Respekt vor einem der Magier überwindend, legte er Baudolino eine Hand auf den Arm und wiederholte ihm Hypatias letzte Botschaft: Sie würde sogar auf ihn gewartet haben, aber ihre erste Pflicht sei es, ihr gemeinsames Geschöpf zu beschützen.
»Sie gesagt: Ich immer bei mir Geschöpf, das mich erinnern an Baudolino.« Und von unten zu ihm aufblickend fragte er:
»Du Geschöpf gemacht mit diesem Weibchen?«
»Das geht dich gar nichts an«, erwiderte Baudolino undankbar.
Gavagai verstummte! Baudolino zögerte noch, als seine
Gefährten bei ihm eintrafen.
Er machte sich klar, daß er ihnen nichts erklären konnte, nichts, was sie verstehen würden. Sodann versuchte er, sich selbst zu überzeugen. Es war alles so einsichtig: Der Wald war inzwischen vom Feind erobertes Land, die Hypatien hatten glücklich die Höhen erreicht, wo sie in Sicherheit waren, Hypatia hatte richtigerweise ihre Liebe zu Baudolino geopfert für die Liebe zu jenem werdenden Wesen, das sie von ihm hatte.
Es war alles so herzzerreißend vernünftig, und es gab keine andere Wahl.
»Ich war ja gewarnt worden, Kyrios Niketas: Der Demiurg hatte alles nur halb gemacht.«
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36. KAPITEL
BAUDOLINO UND DIE VÖGEL
ROCH
»Armer unglücklicher Baudolino«, sagte Niketas so tief
bewegt, daß er ganz vergaß, den mit Salz, Zwiebeln und
Knoblauch gekochten Schweinekopf zu kosten, den
Theophilattos den ganzen Winter über in
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