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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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demjenigen Eunuchen zu helfe: der den in Ketten liegenden jungen Männern den grünen Honig servierte, und dann erschraken sie, wenn sie die Gesichter sahen, entstellt von ihrem verzehrenden Traum Aber wenn nicht ein Traum, so doch ein subtiles Sehnen verzehrte auch unsere Gefangenen, die sich die Zeit dann vertrieben, einander unentwegt von ihren
    Erlebnissen zu erzählen. Sie erinnerten sich an Paris, an Alexandria, an de fröhlichen Markt von Kalliupolis, an den heiteren Aufenthalt bei den Gymnosophisten. Sie sprachen vom Brief des Priesters Johannes, und der Poet, der sich jeden Tag mehr verfinsterte, schien die Worte des Diakons zu wiederhole als hätte er sie mit eigenen Ohren gehört: »Der Zweifel, der mich zerfrißt, ist, daß es das Reich gar nicht gibt. Wer hat uns in Pndapetzim von ihm erzählt? Die Eunuchen. Zu wem sind die Boten zurückgekehrt, die sie zum Priester schickten? Zu ihnen, den Eunuchen. Waren diese Boten wirklich aufgebrochen?
    Waren sie wirklich zurückgekehrt? Der Diakon hatte seinen Vater niemals gesehen. Alles, was wir dort erfahren haben, haben wir von den Eunuchen erfahren. Vielleicht war alles nur ein Komplott der Eunuchen, die sich über den Diakon und uns lustig machten wie über den letzten Nubier oder Skiapoden.
    Manchmal frage ich mich sogar, ob die Weißen Hunnen
    überhaupt existiert haben...« Baudolino sagte, er solle doch an ihre in der Schlacht gefallenen Kameraden denken, aber der Poet schüttelte nur den Kopf. Um sich nicht einzugestehen, daß er besiegt worden war, glaubte er lieber, einer raffinierten Täuschung zum Opfer gefallen zu sein.
    Immer wieder kamen sie auch auf den Tag zurück, an dem
    Friedrich gestorben war, und jedesmal erfanden sie eine neue Erklärung für diesen unerklärlichen Tod. Zosimos war es gewesen, klar. Nein, Zosimos hatte den Gradal gestohlen, aber erst hinterher. Jemand anders mußte vorher tätig geworden sein, in der Hoffnung, den Gradal an sich zu bringen.
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    Ardzrouni? Wer konnte das wissen? Einer ihrer gefallenen Kameraden? Was für ein gräßlicher Gedanke. Einer von ihnen?
    Ja Herr im Himmel, rief Baudolino, müssen wir denn in all unserem Unglück auch noch die Qualen der gegenseitigen
    Verdächtigung erleiden? »Solange wir erwartungsvoll nach dem Reich des Priesters suchten, waren uns nie solche Zweifel gekommen. Jeder half dem anderen im Geiste der Freundschaft.
    Es war die Gefangenschaft, die uns unleidlich machte, wir konnten einander nicht mehr in die Augen sehen, und jahrelang haben wir uns gegenseitig gehaßt. Ich lebte in mich
    zurückgezogen. Ich dachte an Hypatia, aber es gelang mir nicht, mich an ihr Gesicht zu erinnern, ich erinnerte mich nur an die Freude, die sie mir gab. Nachts kam es vor, daß ich die Hände unruhig auf meinem Schamhaar bewegte und dabei träumte, ihr nach Moschus duftendes Vlies zu berühren. Ich konnte mich erregen, denn während der Geist sich in Träumereien verlor, erholte sich unser Körper allmählich von den Auswirkungen unserer Irrfahrt. Wir wurden nicht schlecht ernährt dort oben, wir bekamen zweimal am Tag reichlich zu essen. Vielleicht war das die Art, wie Aloadin uns ruhig hielt, nachdem er uns nicht an den Mysterien des grünen Honigs teilhaben lassen wollte.
    Tatsächlich kamen wir wieder zu Kräften, aber trotz der harten Arbeit, die wir verrichten mußten, wurden wir dick. Ich sah auf meinen wohlgerundeten Bauch und sagte zu mir: Du bist schön, Baudolino, sind alle Menschen so schön wie du? Dann lachte ich wie ein Blöder.«
    Einziger Trost waren die Momente, in denen sie Besuch von Gavagai bekamen. Ihr Freund war Aloadins Hofnarr geworden, er amüsierte den Alten mit seinen unvermuteten Bewegungen, leistete ihm kleine Dienste, indem er durch Säle und Korridore flitzte, um seine Befehle zu überbringen, hatte Sarazenisch gelernt (das er so ähnlich sprach wie sein Griechisch) und genoß viele kleine Freiheiten. Er brachte seinen Freunden manchmal Leckerbissen aus der Küche des Herrn, hielt sie auf dem
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    laufenden über die Geschehnisse in der Burg, über die
    verdeckten Kämpfe zwischen den Eunuchen um die Gunst des Herrn und über die mörderischen Missionen, zu denen die halluzinierenden Jünglinge ausgesandt wurden.
    Einmal brachte er Baudolino etwas grünen Honig, nur ganz wenig, sagte er, sonst würde er sich so zurichten wie diese mörderischen Bestien. Baudolino nahm davon und erlebte eine Liebesnacht mit Hypatia. Doch gegen Ende des Traums
    verwandelte sich

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