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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einem kleinen Faß Meerwasser konserviert hatte. »Noch einmal, jedesmal, wenn es dir unterkam, dich für etwas Wahres zu begeistern, hat dich das Schicksal bestraft.«
    »Seit jenem Abend sind wir drei Tage und drei Nächte
    ununterbrochen geritten, ohne zu schlafen, ohne zu essen und ohne zu trinken. Später erfuhr ich, daß meine Freunde Wunder an Schläue vollbracht hatten, um den Hunnen zu entgehen, auf die man im Umkreis von Meilen und Meilen überall stoßen konnte. Ich ließ mich führen. Ich folgte ihnen und dachte an Hypatia. Es ist richtig, sagte ich mir, daß es so gekommen ist.
    Hätte ich sie wirklich mitnehmen können? Hätte sie sich an eine ihr fremde Welt gewöhnt, der Unschuld des Waldes entzogen, der familiären Wärme ihrer Riten und der Gesellschaft ihrer Schwestern? Hätte sie darauf verzichtet, eine Auserwählte zu sein, dazu berufen, Gott zu erlösen? Ich hätte sie in eine Sklavin verwandelt, in eine unglückliche Sklavin. Und außerdem, ich hatte sie nie gefragt, wie alt sie war, aber sie hätte vielleicht zweimal meine Tochter sein können. Als ich Pndapetzim
    verließ, war ich, glaube ich, fünfundfünfzig Jahre alt. Ich war ihr jung und kräftig erschienen, weil ich der erste Mann war, den sie
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    jemals gesehen hatte, aber ich ging in Wirklichkeit auf das Alter zu. Ich hätte ihr nur sehr wenig geben können und ihr alles genommen. Ich versuchte mir einzureden, daß die Dinge
    gegangen waren, wie sie gehen mußten. Sie mußten so gehen, daß sie mich für immer unglücklich machten. Wenn ich dies akzeptierte, würde ich vielleicht meinen Frieden finden.«
    »Warst du nicht versucht umzukehren?«
    »Jeden Moment, nach den drei ersten lethargischen Tagen.
    Aber wir waren vom Weg abgekommen. Wir hatten nicht
    denselben Weg eingeschlagen, den wir gekommen waren, wir waren ständig irgendwo abgebogen, hatten dreimal dasselbe Gebirge überquert, oder vielleicht waren es auch drei
    verschiedene Gebirge, aber wir waren nicht mehr imstande, sie zu unterscheiden. Die Sonne allein genügte nicht zur
    Orientierung, und wir hatten weder Ardzrouni noch seine Karte dabei. Vielleicht waren wir um den großen Berg
    herumgegangen, der sich in der Mitte des Tabernakels erhebt, und auf die andere Seite der Erde gelangt. Außerdem hatten wir keine Pferde mehr. Die armen Tiere waren seit Anfang der Reise bei uns gewesen und mit uns alt geworden. Wir hatten es nicht gleich gemerkt, weil es ja in Pndapetzim keine anderen Pferde gab, mit denen man sie vergleichen konnte. Die hektische Flucht der ersten drei Tage hatte sie erschöpft. Eins nach dem anderen starb, und das war für uns beinahe ein Glück, denn sie hatten immer die Umsicht, an Orten zu sterben, wo es nichts zu essen gab, so daß wir ihr Fleisch essen konnten, das wenige, was noch an ihren Knochen hing. Wir gingen zu Fuß weiter, auf wunden Füßen, und der einzige, der sich nicht beschwerte, war Gavagai, der niemals Pferde gebraucht hatte und dessen Fußsohle mit einer zwei Finger dicken Hornhaut bewehrt war. Wir aßen echte Heuschrecken, aber ohne Honig, im Gegensatz zu den heiligen Vätern der Wüste. Dann verloren wir Colandrino.«
    »Ausgerechnet den Jüngsten...«
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    »Den Unerfahrensten von uns. Er suchte nach etwas Eßbarem zwischen den Felsen, streckte die Hand in eine tückische Höhle und wurde von einer Schlange gebissen. Er hatte gerade noch genug Atem, mir zum Abschied zu sagen, ich solle die
    Erinnerung an seine geliebte Schwester und meine geliebte Gattin treu bewahren, damit sie wenigstens in meinem
    Gedächtnis weiterlebe. Ich hatte Colandrina vergessen und fühlte mich ein weiteres Mal als Ehebrecher und Verräter, an ihr und an ihm.«
    »Und dann?«
    »Dann wird alles dunkel in meiner Erinnerung. Kyrios
    Niketas, aus Pndapetzim fortgegangen sind wir nach meinen Berechnungen im Sommer 1197. Hier in Konstantinopel
    angekommen sind wir im Januar dieses Jahres. Dazwischen liegen also sechseinhalb dunkle Jahre, dunkel für meinen Geist und vielleicht auch für die Welt.«
    »Sechs Jahre seid ihr durch Wüsten geirrt?«
    »Ein Jahr, vielleicht zwei, wer achtete noch auf die Zeit? Nach Colandrinos Tod, vielleicht Monate später, fanden wir uns erneut am Fuße eines Gebirges, bei dessen Anblick wir nicht wußten, wie wir es übersteigen sollten. Von den zwölf zu Beginn der Reise waren nur noch sechs übrig, sechs Menschen und ein Skiapode. Zerlumpt, abgemagert und sonnenverbrannt, hatten wir nichts als unsere Waffen und unsere

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