Baudolino
sonnenverbranntes Gesicht, eine bleiche Narbe quer über die ganze Wange, ein Kranz noch rotblonder Haare, der seinem Kopf etwas
Löwenhaftes verlieh. Niketas wäre wohl recht erstaunt gewesen, wenn er erfahren hätte, daß dieser Mann bereits über sechzig Jahre alt war. Er hatte sehr große Hände, und wenn er sie verschränkt im Schoße hielt, sah man sofort die knotigen Knöchel. Bauernhände, mehr für die Hacke als für das Schwert gemacht.
Gleichwohl sprach er ein flüssiges Griechisch, ohne bei jedem Wort feine Tröpfchen zu spucken, wie es die Fremden
gewöhnlich taten, und Niketas hatte ihn erst vor kurzem mit den Invasoren in ihrer rauhen Sprache reden hören, die er schnell und trocken sprach, wie einer, der sie auch zum Schimpfen und Beleidigen zu gebrauchen weiß. Im übrigen hatte ihm Baudolino am Abend zuvor gesagt, daß er eine Gabe besitze: Es genüge ihm, zwei Leute in irgendeiner Sprache miteinander reden zu hören, und nach kurzer Zeit sei er in der Lage, mit ihnen zu sprechen. Eine einzigartige Gabe, von der Niketas gedacht hätte, sie sei nur den Aposteln gewährt.
Das Leben am Hofe, zumal an diesem, hatte Niketas gelehrt, die Menschen mit stillem Mißtrauen zu taxieren. Was ihm an Baudolino auffiel, war, daß dieser Lateiner bei allem, was er sagte, sein Gegenüber mit einer verhaltenen Ironie ansah, als wolle er ihm bedeuten, seine Worte nicht allzu ernst zu nehmen.
Eine schlechte Angewohnheit, die man jedem beliebigen
zubilligen mochte, nur nicht einem, von dem man eine
wahrheitsgemäße Aussage erwartete, um sie dann in
Geschichtsschreibung zu übersetzen. Andererseits war Niketas von Natur aus neugierig. Er liebte es, andere erzählen zu hören, und nicht nur von Dingen, die ihm noch unbekannt waren. Auch was er bereits mit eigenen Augen gesehen hatte, kam ihm, wenn
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er einen anderen darüber reden hörte, ganz neu vor, so als sehe er es aus einem neuen Blickwinkel, als befände er sich auf dem Gipfel eines jener Berge, die auf den Ikonen gemalt sind, und sähe die Steine so, wie sie die Apostel auf dem Gipfel sahen, und nicht wie die Gläubigen unten.
Außerdem machte es ihm Vergnügen, die Lateiner zu
befragen, die in allem so anders als die Griechen waren, angefangen bei ihren ganz neuen, untereinander so
verschiedenen Sprachen.
Niketas und Baudolino saßen einander gegenüber in einem Turmzimmer, das doppelte Spitzbogenfenster nach drei Seiten hatte. Durch eines sah man auf das Goldene Horn und das gegenüberliegende Ufer von Pera mit dem Turm von Galata, der sich aus seiner Umgebung von eng zusammengedrängten
Häusern und Hütten erhob; durch das andere sah man den
Hafenkanal in den Sankt-Georgs-Arm einmünden; das dritte ging nach Westen, und dort hätte man ganz Konstantinopel sehen müssen. Doch an jenem Morgen war die zarte Farbe des Himmels verdunkelt vom dichten Rauch aus den Palästen und Kirchen, die vom Feuer verzehrt wurden.
Es war die dritte Feuersbrunst, von der die Stadt in den letzten neun Monaten heimgesucht wurde. Die erste hatte die Lager-und Vorratshäuser des Hofes zerstört, vom Blachernenpalast im Nordosten bis hinunter zur Konstantinsmauer, die zweite hatte sämtliche Warenhäuser der Venezianer, Amalfitaner, Pisaner und Juden vernichtet, von Perama bis fast an die Küste, ausgenommen allein jenes Viertel der Genueser unterhalb der Akropolis, in dem sie sich befanden, und die dritte wütete jetzt in der ganzen Stadt.
Unten tobte ein wahres Flammenmeer, die Arkaden brachen zusammen, die Paläste stürzten ein, die Säulen knickten um, die Feuerkugeln, die aus dem Zentrum des Brandes hervorstoben, verzehrten die weiter entfernten Häuser, wonach die Flammen,
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getrieben von launischen Winden, die das Inferno genußvoll nährten, zurückkehrten, um zu verschlingen, was sie zuvor noch ausgespart hatten. Darüber ballten sich dichte Wolken, an der Unterseite noch rötlich vom Widerschein des Feuers, aber sonst von einer anderen Farbe, bei der man nicht zu sagen vermochte, ob sie auf einer Täuschung durch die Strahlen der aufgehenden Sonne beruhte oder auf der Natur der Spezereien, der Hölzer und anderen Materialien, die dort verbrannten. Überdies kamen je nach der Windrichtung aus verschiedenen Teilen der Stadt Gerüche von Muskatnuß, Zimt, Pfeffer und Safran, Senf oder Ingwer - so daß die schönste Stadt der Welt zwar brannte, aber wie eine Räucherpfanne voller Duftstoffe.
Baudolino stand mit dem Rücken zum dritten Fenster und sah
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