Bauern, Bonzen und Bomben
verdient. Und jetzt muß er erst auf die Winterschule, und dann geht er noch ein paar Jahre auf die landwirtschaftliche Hochschule, und was er auf dem Hofe hilft, das ist nicht der Rede wert, kein Taschengeld wert.
Und am Ende muß die Stadt für die Kinder aufkommen. Nun rechnen Sie einmal: vierzehn Kinder erst ins Säuglingsheim, dann ins Kinderheim, dann ins Lehrlingsheim. Unter fünftausend Mark kann die Stadt kein Kind aufziehen.
Das macht siebzigtausend Mark. Dazu die direkten Turnierkosten mit neuntausend Mark, macht neunundsiebzigtausend Mark. Da kann schon viel Schaden entstehen, ehe das wettgemacht ist.«
Assessor Stein setzt sich, und seine blassen Bäckchen sind rot.
Großes Gelächter.
Superintendent Schwarz erhebt sich und sagt erregt: »Ich erhebe Einspruch gegen die ganz unglaublich leichtfertige Art, mit der dieses traurige Thema von einem Vertreter der Stadt abgehandelt wurde. Wenn so über moralische Fragen an den Stellen, die ein Beispiel geben sollten, geurteilt wird …«
»Ist ja gar nicht geurteilt!«
»Wie? Nicht geurteilt? Aber es ist leichtfertig darüber gesprochen, das ist dasselbe. Die Kirchengemeinde freilich findet selten Unterstützung bei dem Stadtparlament in sittlichen Dingen. Die Beseitigung der Büsche und Bänke auf dem alten Friedhof, die nur nächtlicher Unzucht Vorschub leisteten, hat die Kirchengemeinde auch auf ihre Kosten vornehmen lassen müssen. Meine Herren, bedenken Sie, auf den Gräbern der Entschlafenen!«
Gareis erhebt sich.
»Was Herr Assessor Stein eben mitteilte, war eine volkswirtschaftliche Tatsache und hat mit Moral gar nichts zu tun.
Im übrigen verspreche ich mir von einer weiteren Debatte |291| nichts. Ich schließe also die Debatte. Ich bitte Sie, meine Herren, über meine Vorschläge abzustimmen. Wer meine drei Vorschläge annimmt, hebe die Hand. –
Das ist die Minderheit. Meine Vorschläge sind also abgelehnt. Ich bedauere, in dieser Sache im Augenblick nichts weiter tun zu können. – Sie wünschen, Herr Besen?«
»Einen Augenblick, Herr Bürgermeister. Es steht noch ein weiterer Vorschlag zur Abstimmung, sofort mit der Bauernschaft Verhandlungen anzuknüpfen. Ich bitte, darüber abstimmen zu lassen.«
»Tun Sie das. Ich kann nur noch einmal warnen.«
»Wer für Verhandlungen ist, hebe die Hand. – Das ist weitaus die Mehrheit. Ich danke Ihnen, meine Herren. Es bleibt uns nun nur noch, die Mitglieder der Kommission, für die ich den Namen ›Versöhnungskommission‹ vorschlagen möchte, zu wählen. Ich möchte an erster Stelle Herrn Bürgermeister Gareis vorschlagen.«
»Lehnt ab. Und die weiteren Wahlen, meine Herren, bitte ich doch vielleicht an einem andern Orte, etwa im Ratskeller, vorzunehmen. Ich möchte nicht, daß eine Sache, die ich von Grund aus mißbillige, in meinen Amtsräumen durchgeführt wird.«
Medizinalrat Lienau erklärt vernehmlich: »Zu deutsch: Wenn es nicht nach dem Kopf von Herrn Gareis geht, wird man hinausgeworfen.«
»Ganz richtig, Herr Medizinalrat, ich werfe hinaus. Guten Morgen, meine Herren.«
4
Ein Bauer kommt aus dem Bahnhof Altholm und geht quer über den Platz nach dem Eingang der »Chronik« hinüber. Der Bauer, ein schwerer, großer Mann, geht mühsam am Stock. Aber er läßt sich nicht von den Autos irritieren, er geht direkt auf den Polizisten zu, der dort den Verkehr regelt.
|292| Vor dem Beamten bleibt der Bauer stehen und sieht ihn stur an. »Wachtmeister«, sagt er.
Der Beamte glaubt, daß eine Auskunft von ihm verlangt wird, und fragt: »Ja?«
Der Bauer fragt: »Wo soll ich den abgeben? Nehmen Sie ihn?«
»Wen? Wen meinen Sie?«
»Wen ich meine? Den Stock! Den dicken Stock! Ich habe gehört, wir Bauern sollen in Altholm unsere Stöcke abgeben.«
»Gehen Sie weiter! Ich lasse mich nicht von Ihnen durch den Kakao holen.«
»Wo ist mein anderer Stock?« fragt der Bauer plötzlich wütend. »Den Sie mir am Blutmontag abgenommen haben?«
Er blickt zornig aus kalten hellen Augen auf den verärgerten Polizisten.
»Sie sollen weitergehen, habe ich Ihnen gesagt.«
»Ihr nehmt Invaliden die Stöcke weg, was? Daß sie auf der Straße hinfallen? Helden sind das!«
Der Bauer stampft weiter, auf die »Chronik« zu. Der Wachtmeister sieht ihm böse nach.
Drinnen in der »Chronik« streiten sich wieder einmal Stuff und Tredup.
»Du bist verrückt, Max, mit deinem Schwarm für Gareis. Der ist der Allerschlimmste von allen.«
»Na, daß er grade keine Liebe für dich hat, wenn du ihn so
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