Bauern, Bonzen und Bomben
dann seid ihr fromm …
Und darum hat sie nur recht gehabt, die Polizei in Altholm, euch die Fahne wegzunehmen. Arbeiter dürfen Fahnen haben.
Aber ihr, ihr Bauern, ihr dürft gar nichts haben.
Blutig schlagen lassen dürft ihr euch vom Verwaltungsapparat.«
Er steht da, Vadder Benthin, und augenblicklich scheint er nicht weiterreden zu wollen. Er wischt sich die Stirn ab. Hinter ihm stehen die Führer, mit gesenkten Köpfen oder in die Menge spähend, von der es aufbraust, lauter, brüllender, immer wilder …
Und in diesem Moment tut sich die Tür links auf der Estrade auf: Polizeimeister Kallene mit der Hindenburgfigur tritt ein, im blauen Waffenrock mit roten Aufschlägen …
Er geht die Bühne längs, bis er neben Vadder Benthin steht, und macht gegen die tobende Versammlung ein Zeichen, daß sie ihn anhören soll.
Es ist ein Moment – den Männern auf der Bühne bleibt das Herz stehen.
|211| Vielleicht ist dieser Polizeimensch nur dumm, aber vielleicht ist er auch mutig.
Jedenfalls …
Plötzlich heben sich Hunderte von Stöcken gegen ihn, man hört wilde, drohende Ausrufe aus dem Gelärm gellen, gleich werden die ersten Stöcke gegen die Bühne fliegen …
Der Kapellmeister vom Stahlhelmtrupp hat schon manche wilde Versammlung mitgemacht. In diesem Augenblick gibt er ein Zeichen mit dem Taktstock, die Kapelle setzt ein, und das Deutschlandlied ertönt.
Durch die Versammelten geht ein Ruck. Plötzlich stehen alle Bauern, sie singen es mit, sie sind begeistert, sie schleudern es dem Polizeimenschen dort, dem Vertreter der deutschen Regierung, ins Gesicht:
»Deutschland, Deutschland über alles …«
Polizeimeister Kallene steht mit gesenktem Kopf da. Er sieht nicht um sich. Vielleicht fühlt er den Gegensatz gar nicht: der kleine, dreckige, verbrauchte Bauer an seiner Seite mit dem häßlichen Kopf, und er, der Zweizentnermann, wohlgenährt, mit rosigen Wangen, sauber und heil gekleidet.
Als der erste Vers fertig ist, entsteht eine kleine Pause. Kallene macht wieder seine Bewegung, will wieder reden, aber der zweite Vers beginnt.
Er wartet weiter.
Nach dem zweiten Vers dasselbe.
Nach dem dritten Vers dasselbe.
Nach dem vierten Vers, als der erste neu beginnt, geht Polizeimeister Kallene langsam und gemächlich ab. Er gibt es auf, sie lassen ihn doch nicht zu Worte kommen.
Die Bauern sehen ihm nach.
Nun tritt eine Stille ein. Die Kapelle spielt nicht weiter. Die Bauern sehen auf Vadder Benthin, wird der weitersprechen?
Und wieder tut sich die linke Tür zur Estrade auf, aber diesmal kommt ein Bauer hindurch, ein großer, stattlicher Mensch, den Hut tief ins Gesicht gezogen.
Er bleibt stehen. Aus dem Hutschatten starrt er auf die |212| Menge dort unten, als hätte er sie nicht erwartet. Er geht weiter, der Estradenmitte zu, mit einem seltsam torkelnden Gang, als wäre er betrunken.
Die Bauern starren auf ihn, kaum einer, der den Bauern Banz aus Stolpermünde-Abbau kennt. Sie starren auf diesen großen, torkelnden Mann, ein Gefühl verbreitet sich im Saale wie Angst, als werde gleich etwas geschehen.
Der Mann hält an, hart vor Vadder Benthin. Er bewegt den Mund, aber kein Laut ist zu hören.
Und plötzlich wirft er die Arme hoch, reißt den Hut vom Schädel, schleudert ihn in die Menge. Sein Kopf ist entblößt, ein Kopf, der nichts ist wie eine furchterregende, grausige Blut- und Fleischmasse.
Die Bauern brüllen auf.
Und als habe dieser Schrei dem Mann dort oben Sprache gegeben, brüllt er: »Bauern! Bauern! Das ist die Gastfreundschaft von Altholm! Bauern! Bauern! Das sind die Taten der Regierung!«
Die Menge brüllt auf wie ein tausendmäuliges Tier.
Der Mann bricht mit einem durchdringenden Geschrei zusammen.
Alle Türen zum Saal fliegen auf.
Schupo und Polizei mit hoch geschwungenen Gummiknütteln dringen ein. Sie rufen:
»Der Saal wird geräumt!«
»Die Versammlung ist aufgelöst!«
»Alle ruhig den Saal verlassen!«
4
»Also gehen wir«, sagt Stuff zu Blöcker.
»Ja, gehen wir«, stimmt Blöcker zu. »Das mag kein Schwein ansehen.«
Schupo und Stadtpolizei im Verein haben einen entscheidenden Sieg über die Bauern davongetragen. Die Leute sind |213| einzeln aus dem Saal getrieben worden, haben sich aufstellen müssen wie die Puppen und nach Waffen abtasten lassen. Ihre Gehstöcke sind ihnen abgenommen. Dann sind sie auf die Straße getrieben worden, haben wieder zu einem Zuge antreten müssen, der wieder aufgelöst worden ist. Sie sind in die, in jene Straße
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