Bauernjagd
die Schultern, dann bat er Henrik Korb, sich um die
Organisation der Suchaktion zu kümmern. Schließlich stieg er in den Wagen und
fuhr vom Hof. Im Rückspiegel sah er Heike, die ihm verärgert hinterherblickte,
und die erleuchteten Türme der Biogasanlage.
»Hat Annika einen Lieblingsplatz oder so etwas?«, fragte er.
»Irgendeinen Ort, den sie Bernd vielleicht zeigen wollte?«
»Sie mag den Hexenpütt bei Havixbeck. Dort geht sie gern spazieren.
Aber da ist es jetzt stockdunkel.«
»Und sonst?«
»Nein, nichts.« Sie trommelte mit den Fingern auf ihrem
Oberschenkel. »Was willst du denn jetzt machen?«
»Ich fahre erst einmal die Strecke nach Altenberge ab. Vielleicht
hatten sie einen Unfall und wurden einfach noch nicht entdeckt. Sind sie mit
dem Auto gefahren?«
»Nein, Bernd hat einen Motorroller.« Sie starrte auf die Straße.
»Mein Gott, wenn ihnen etwas passiert ist …«
»Es wird schon alles in Ordnung kommen. Glaub mir, Tante Ada.
Bestimmt gibt es eine ganz einfache Erklärung. Die meisten Vermisstenfälle
lösen sich innerhalb der ersten Stunden in Wohlgefallen auf.«
»Aber bei diesen Fällen gibt es keinen Mörder, der in der Gegend
sein Unwesen treibt!«
»Versuch einfach, ruhig zu bleiben.«
Der Nebel verdichtete sich, und Hambrock fuhr langsam über die
Straße nach Altenberge. Seinen Blick hielt er auf die Gräben gerichtet. Sollten
die beiden von der Fahrbahn abgekommen sein, würde er sie dort entdecken.
Irgendwann unterbrach Tante Ada das Schweigen.
»Hör zu, Bernhard, ich muss mich bei dir entschuldigen. Was ich da
neulich gesagt habe, du weißt schon, dass du kein guter Polizist bist …«
»Schon verziehen.«
»Danke.« Sie starrte aus dem Fenster, nach einer Weile fuhr sie
fort. »Mir fällt das nicht leicht, aber … Ich muss noch etwas loswerden. Ich
will dir nur sagen … Ich bin froh, dass du hier bist. Das meine ich ganz
ehrlich. Sonst wüsste ich gar nicht … Jedenfalls bin ich froh.«
Er lächelte. Für Tante Adas Verhältnisse musste das einer
Liebeserklärung gleichkommen.
»Wir sind eine Familie«, sagte er. »Das ist doch selbstverständlich.«
Sie passierten den Hof von Ewald Tönnes. Die Gebäude ragten dunkel
aus dem Nebel. Das Haus und die Ställe waren verlassen, nichts regte sich.
Hambrock hatte gehört, dass alles verkauft werden sollte. Er fragte sich, was
passieren würde, wenn seine Eltern eines Tages die Landwirtschaft aufgaben. Alt
genug waren sie ja. Seine Schwester hatte mit ihrem Mann in Vennhues gebaut,
und er selbst plante auch nicht zurückzukehren. Sein Leben spielte sich in
Münster ab, gemeinsam mit Erlend.
Erlend …
»Halt!« Tante Ada erstarrte. »Bleib stehen!«
Er fuhr rechts heran. »Was ist denn? Hast du was gesehen?«
Ada blickte hinüber zum Hof von Melchior Vesting. Hinter einem
Fenster im Wohnhaus brannte Licht, der Rest des Hofs lag in der Dunkelheit.
»Mein Gott«, flüsterte sie und blickte Hambrock an. Sie wirkte, als
hätte sie ein Gespenst gesehen. »Melchior Vesting.«
»Was ist mit ihm?«
»Er hat die Morde begangen. Und ich weiß jetzt auch, warum. Vor
allem ist mir endlich klar, weshalb eine Horstkemper sterben muss.« Sie legte
eine Hand gegen die Scheibe. »Es ist alles ganz einfach. Wie konnte ich das nur
die ganze Zeit übersehen?« Sie richtete sich auf. »Schnell, Bernhard! Du musst
zum Hof fahren! Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Tante Ada …«
»Fahr schon! Beeil dich!«
»Du wirst mir zunächst einmal sagen müssen, worum es geht. Ich werde
dort nicht aufschlagen, ohne zu wissen, was hier läuft.«
»Verflucht, Bernhard! Wirst du wohl …«
Sie stockte. Ein Streifenwagen näherte sich auf der Landstraße. Sein
Martinshorn war nicht eingeschaltet, aber das Blaulicht flackerte im Nebel.
Kurz bevor er sie erreichte, bog er ab und fuhr über den Schotterweg zum Hof
von Melchior Vesting.
»Was ist denn das jetzt?«, kam es von Ada.
Hambrocks Handy klingelte. Eilig zog er es aus der Jackentasche
hervor. Es war Henrik Korb.
»Ich weiß nicht, ob es dich interessiert«, sagte der, »aber von den
Kollegen weiß ich, dass sie gerade einen Einsatz in Erlenbrook-Kapelle haben.«
»Ja, das sehe ich. Worum geht es?«
»Einbruch. Ein Bauer hat den Notruf gewählt. Offenbar hat er den
Einbrecher gestellt.«
»Wie denn das?«
»Er hält ihn mit seinem Jagdgewehr in Schach. Das sagen zumindest
die Kollegen.«
»Also gut. Danke, dass du Bescheid gegeben hast.«
Er steckte das Handy zurück in die
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