Bauernopfer
mitkommen lassen. Es ging um den größten Auftrag, den die Firma Gessler je bearbeitet hatte. Nur konnte Gessler den geforderten Umfang mit der jetzigen Anlage nicht liefern und auch die Qualität nicht im geforderten Maße erreichen. So wie Bertl die Sache verstanden hatte, gab es für seinen Chef nur zwei Möglichkeiten: Entweder er baue an die bestehende Produktionshalle an und erweitere dadurch die Fertigungsstraße. Dann könnte er den Auftrag annehmen, die Firma wäre ausgelastet und die Arbeit über Jahre hinaus gesichert. Allerdings bräuchte er dazu das Feld, das an die Firma angrenzt, sonst ginge es nicht. »Oder er lehnt ab. Verstehst? Er sagt: Nein, kann ich nich machn.« Bertl wischte umständlich einen imaginären Malaien zur Seite. »Dann bleibt alles beim Alten. Der Betrieb läuft noch drei oder fünf Jahre, undannisschluß.«
Kurz überlegte Charly, ob er Bertl jetzt darüber belehren musste, dass er nichts sagen müsse, womit er sich selbst belasten könnte. Bertl brauchte noch mindestens für die nächsten zehn Jahre einen Arbeitsplatz und nach seiner Aussage von eben war der gefährdet. Was Bertls gesicherter Zukunft im Wege stand, war die Sturheit des Bichler-Bauern, der sein Feld nicht an Gessler verkaufen wollte. Aber als Motiv kam das natürlich für jeden Beschäftigten der Firma Gessler in Betracht, zumindest für die Älteren. Charly nahm sich vor, später noch einmal darüber nachzudenken.
Inzwischen hatten sich die letzten der Ebenhausener Spie-1er verabschiedet und somit auch seine Fahrgelegenheit, mit der er nach Haunwöhr angereist war. Aber egal, Charly wollte das Gespräch fortsetzen, solange er Bertl noch verstehen konnte.
»Kann der Gessler nicht woanders hingehen mit seiner Firma und was Neues aufbauen?«, fragte er den Verteidiger.
Dann würde sich der Auftrag nicht mehr rechnen, führte Bertl aus. Die Geschäftspartner mussten ihre Planungen abschließen und hatten Gessler eine Deadline für die Entscheidung gesetzt. Ende des Jahres wollten sie eine definitive Aussage. Soviel Bertl mitbekommen hatte, stünde für einen kompletten Neubau dann eh nicht mehr genug Zeit zur Verfügung.
»A Daedline, vaschdäsd! Diese …« Klonk, »mistigen Chinäs’n, blöder Bauer«, Prost.
Die Unterhaltung forderte inzwischen Charlys volle Konzentration. Da auch er schon beim dritten Weißbier war, konnte er Bertls Verbaleskapaden mitunter kaum noch folgen.
Nach einer kurzen Phase der Stille, die beide nutzten, um mit starren Blicken ihr Bier zu beobachten, brachte Charly das Gespräch auf das Thema Frauen. Er habe gehört, dass Gessler kein Kostverächter sei.
»Sssis mia wuascht, wer da mit wem schnaxelt, vaschdäst. Das interessiert mich nicht.« Den weiteren Ausführungen glaubte Charly entnehmen zu können, dass hin und wieder Gerüchte im Betrieb auftauchten. Man munkelte sogar etwas von einer Abtreibung, nachdem der Chef eine junge Arbeiterin geschwängert habe. Genaueres wusste Bertl aber nicht. Da müsse man schon die Berthold fragen, die sei der Feldwebel in der Firma. Angeblich habe auch sie selbst früher schon mal ein Verhältnis mit dem Chef gehabt. Ob das jedoch wirklich so war … Bertl zuckte mit den Schultern. »Da halt imiraus.«
Klonk, Prost! Jetzt reichte es Bertl. Kurz vor Mitternacht stand er auf, klopfte auf den Tisch und verabschiedete sich mit einem verwaschenen »Gut Nacht«. Auch Charly beglich bei der gähnenden Rosl seine Rechnung und verabschiedete sich von den zwei letzten verbliebenen Spielern, die dumpf in einer Ecke saßen und über das Vermögen von Michael Schumacher diskutierten.
Vor dem Vereinsheim sog Charly tief die kühle Nachtluft ein, die den verrauchten Bierdunst des Gastraumes aus seiner Lunge vertrieb. Während Bertl von seinem Bier jedes Mal getrunken hatte, als hätte er zuvor ohne Wasservorrat die Sahara durchquert, hatte Charly meist nur an seinem Glas genippt. Trotzdem waren es vier Weißbier geworden, die ihn jetzt leicht schwanken ließen. Mit vier Bier erreichte Charly schon unter normalen Umständen sein persönliches Limit. Nach den Anstrengungen eines Fußballspieles und nur mit einer halben Brotzeit im Bauch, wirkte das Grundnahrungsmittel besonders intensiv. Er fischte sein Handy aus der Jackentasche und wählte mit Mühe die Nummer der Taxizentrale auf den Tasten, die ihm an diesem Abend besonders klein vorkamen.
»Zur Polizei am Busbahnhof bitte«, wies er den Fahrer an, als nach zehn Minuten der bestellte Wagen
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