Bauernopfer
aufgetaucht war.
Der Taxifahrer musterte Charly mit professionellem Blick. Wenn ein Angetrunkener mit einem blauen Auge, der um Mitternacht ein Taxi von einer dunklen Haunwöhrer Ecke zur Polizei brauchte, war er vermutlich ausgeraubt worden. Solche Fälle hatte er schon öfter erlebt und war dabei jedes Mal auf seinen Kosten sitzen geblieben. »Zeigen Sie mir erst mal Ihr Geld.«
Nachdem Charly ihm seine Barschaft gezeigt hatte, fuhr das Taxi los und der Fahrer begann über die Polizei zu schimpfen, die Autofahrer ständig mit Verkehrskontrollen piesackten, gegen derartiges Gesindel aber nichts unternahmen. Da sein Jahrgast noch im Besitz von Börse und Handy sei, handele es sich ja wohl nicht um einen Raub sondern um eine Schlägerei; wahrscheinlich aus purem Übermut habe wieder eine Bande Jugendlicher auf einen wehrlosen Passanten eingeschlagen und sich einen Spaß daraus gemacht, ihn zu quälen. Charly könne froh sein, dass ihm nicht mehr passiert sei. Wenn er sich gewehrt hätte, hätten sie ihn bestimmt krankenhausreif geschlagen. Wahrscheinlich Ausländer, die sich nicht integrieren wollten. Betrunken und mit Drogen vollgepumpt. Flatrate-Party und so. »Aber die Polizei kassiert ja lieber bei Verkehrskontrollen ab.«
Der Kollege in der Wache sah Charly nur müde an, wunderte sich aber nicht weiter über den Typen von der Kripo, der um Mitternacht in die Dienststelle schlich. Im zweiten Stock war es dunkel und still. Gott sei Dank lag momentan offenbar kein Einsatz an, und der Bereitschaftsdienst schlief zu Hause in den Betten. Es war auch so schon ein sehr komisches und unangenehmes Gefühl, mit vier Weißbier in der Dienststelle herumzutappen. Charly setzte sich in sein Büro und schnappte sich sein Diktiergerät. Er wollte nicht bis Montag warten, sondern die neuen Erkenntnisse über Gessler und seine Firma in einem Gedächtnisprotokoll festhalten, solange die Erinnerung noch frisch war und er alles noch wusste, was ihm Bertl erzählt hatte.
Nach einer Stunde legte er die Kassette in die Kiste mit den Schreibaufträgen und rief sich vom Büro aus ein weiteres Taxi, auf das er unten vor dem Gebäude wartete. Sein Wunsch, es möge nicht derselbe Taxifahrer wie bei der Herfahrt kommen, wurde erhört. Allerdings ließ man ihn diesmal wissen, dass es kein Beinbruch sei, eine zeitlang ohne Führerschein auszukommen. Was sollte es denn auch sonst sein, wenn man nachts um eins einen Mann mit Fahne bei der Polizei abholen und nach Hause fahren mußte. Er solle sich nichts daraus machen.
Über die Mattscheibe flimmerten Sexclips, als Charly das Wohnzimmer betrat. Petra, bis zur Nasenspitze in ihre Decke eingewickelt, erwachte aus ihrem Tiefschlaf.
»Ah, Schorschi, bist wieder da vom Fußballspielen?«, murmelte sie.
Das hörte sich nachts um halb zwei nicht gut an. Charly brummte eine Bestätigung und zog sich rasch ins Bad zurück. Als er wieder herauskam, waren Fernseher und Licht aus, Petry lag im Bett und hatte ihren Schlaf wiederaufgenommen. Auch Charly legte sich hin und spürte, dass Knochen, Gelenke, Sehnen, Bänder Adduktoren und Muskelfasern langsam zu schmerzen begannen.
Montag, 27. Oktober
Wie üblich war Charly einer der Ersten auf der Dienststelle.
Nur die Putzkolonne war schon fleißig. Die kleine freundliche Putzfrau, die sonst immer im zweiten Stock wischte, hatte anscheinend Urlaub, denn Charly traf auf ihre Vertretung, eine bulgarische Kugelstoßerin mit dem Gesichtsausdruck eines übermüdeten Pittbulls, die morgens um halb sieben kein »Guten Morgen« und schon gar kein Lächeln zustande brachte.
Die Begrüßung passte zu Charlys Stimmung, denn erholt war er nach diesem Wochenende nicht. Am Sonntagvormittag war Petra ein wenig sauer gewesen, nachdem er sich trotz unsäglicher Schmerzen aus dem Bett geschält hatte. Sie wollte ihm nicht glauben, dass sein Gaststättenaufenthalt nach dem Fußballspiel einer dienstlichen Notwendigkeit geschuldet war und dass er die vier Bier hatte trinken müssen, um so eine Art Vernehmung durchzuführen. Er hatte den Eindruck gehabt, sie fühlte sich sogar irgendwie verarscht, und darum erklärte er nichts mehr.
Gegen Mittag hatte sich Petras Laune gebessert und die beiden hatten beschlossen, einen geruhsamen Sonntag zu zweit mit Kaffeetrinken und Entspannen zu verbringen. Erst musste aber Julia zum Stall gefahren werden. Danach hatte Ludwig gemotzt, weil seine Schwester immer gefahren werde, während er immer selbst sehen müsse, wie er dorthin komme,
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