Bauernsalat
Reineke stand kurz vor einem Weinkrampf. »Dieser Bauer war ein Unmensch. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie er eine junge Frau vergewaltigt hat, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Sie haben – was?« Alexa und ich starrten uns an.
»Eine junge Polin war das. Sie arbeitete auf dem Hof. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, als ich einmal nachmittags auf den Hof kam. Die Frau hat geschrien, doch der Bauer hat ihr den Mund zugedrückt« Reineke sah aus, als würde er die Szene ein zweites Mal miterleben. »Ihre Augen waren riesengroß. Solch eine Angst hat sie gehabt. Aber ich konnte doch nichts machen, ich war noch zu klein. Ich stand hinter der Scheune und mußte alles mit ansehen. Irgendwann bin ich dann weggelaufen. Ich bin nur noch gelaufen, obwohl ich noch gar nichts getauscht hatte. Danach bin ich nie mehr zurückgekommen.«
»Jedenfalls nicht mehr als kleiner Junge«, fügte Alexa leise hinzu. »Aber später, später sind Sie dann gekommen. Aber warum nach so vielen Jahren?«
»Ich hatte mich mehrfach an den Bauern gewandt, als ich noch in Bochum wohnte«, erklärte Reineke zögerlich. »Ich habe ihm zwei Briefe geschrieben, auf die er nicht geantwortet hat. Am Telefon behauptete er, er habe meinen Schmuck gar nicht mehr. Der sei ihm in der Nachkriegszeit verloren gegangen.«
»Warum sind Sie dann überhaupt nach Renkhausen gezogen?«
»Als ich nach meiner Pensionierung ein Häuschen suchte, war es für mich wie eine Schicksalsbestimmung, als ich in einem Anzeigenblättchen ein Angebot über eine Immobilie in Renkhausen sah. Der Sohn des ehemaligen Besitzers wohnt selbst in Dortmund und hat das Haus daher auch im Ruhrgebiet angeboten – als ein Haus im Grünen für den gestreßten Ruhrpötter.«
»Und dann haben Sie Schulte-Vielhaber erneut aufgesucht?«
»Diesmal habe ich es ganz vorsichtig versucht. Ich wollte erstmal wissen, ob der Schmuck tatsächlich verschwunden ist. Irgendwann habe ich den Bauern dann doch zur Rede gestellt, aber er hat sich praktisch geweigert, mit mir zu sprechen. Ich habe es immer wieder versucht«, erklärte Reineke weinerlich. »Leuten wie mir wolle er nichts verkaufen, hat er gesagt.«
»Haben Sie ihn auch auf die Vergewaltigung angesprochen?«
»Das war das Schlimmste. Erst hat er alles geleugnet. Aber als ich ihm beschrieben habe, wo ich ihn gesehen habe und wie die Frau aussah, da ist er stutzig geworden. ’Was willst du eigentlich von mir?’ hat er zu mir gesagt ’Sie war eine Polin, sie konnte froh sein, daß sie hier was zu beißen hatte.’ Das hat er gesagt, das war kurz, bevor ich dann zum letzten Mal zum Hof gefahren bin.«
»Um ihn umzubringen.«
»Um ihm zu sagen, daß ich die Sache öffentlich machen würde, wenn ich nicht sofort meinen Schmuck wiederbekäme. Meinen Schmuck, der mir rechtmäßig zusteht.«
»Und?«
»Er hat gesagt, ich solle mich zum Teufel scheren. Er habe Erkundigungen über mich eingeholt. Mir würde ja doch keiner glauben. Ich sei ja selbst ein Pole. Das hat er gesagt, weil ich aus Breslau stamme. Und dann hat er ganz höhnisch gelacht und ist auf seine Leiter gestiegen. Ich war so voller Zorn und habe gerufen, er habe mir jetzt genug Leid angetan. Aber er hat nur gebrüllt, ich solle verschwinden. Und dann habe ich die Leiter gepackt. Das hat er bemerkt und noch geschrien, er habe nichts Schlimmes getan und ich solle die Leiter loslassen. Aber ich habe daran gerissen und dann ist sie umgestürzt mit voller Wucht, und der Bauer ist auf den Beton geknallt. Einen Moment habe ich ihn nur angestarrt, wie er da lag in seinem Blut, aber dann habe ich Schritte gehört und bin zu meinem Fahrrad geeilt, das ich um die Ecke an die Rückwand der Scheune gestellt hatte. Ich hörte, wie eine Frau aufschrie und wie sie anschließend zum Haus rannte. In der Zeit bin ich abgehauen mit meinem Fahrrad, über den Feldweg.« Reineke fuhr sich mit dem Jackenärmel über die Augen. »Er ist solch ein Schwein. Der Schmuck gehört mir. Ich habe mir alles aufgeschrieben, als ich noch ein Junge war und immer wieder zu ihm hinmußte. Ich habe mir aufgeschrieben, was ich für all die Sachen bekommen habe: Hier!« Reineke hockte sich hin und kramte im Schreibtisch herum. Wie im Wahn riß er verschiedene Dinge heraus und suchte offensichtlich verzweifelt nach dem Zettel.
»Fünf Kilo Äpfel für einen Goldring, zehn Kilo Getreide für die wertvollste Kette meiner Mutter, das soll rechtmäßig sein?«
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