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Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Titel: Bd. 1 - Die dunkle Schwinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter H. Hunt
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Aufgaben des Nestes für den Tag verlassen. Makra’a war nachdenklich und mürrisch gewesen, seit von esYen die Nachricht von der unmittelbar bevorstehenden Ankunft des esHu’ur am Rand der Innersten Sterne der Zor gekommen war. Beim Rat der Elf am Abend zuvor war der Lord des Nests so wütend gewesen, dass Ptal sich gefragt hatte, ob der Patriarch sich in dieser Sache gegen des Willen des Hohen Lords stellen würde. Hätte er das getan, hätte er sich damit selbst idju gemacht – zusammen mit allen des Nestes HeU’ur, die ihm gefolgt wären. Wenigstens war dieser Wahnsinn ausgestanden.
    An diesem Morgen – die Sonne war kaum über den Horizont gestiegen – hatte Makra’a Ptal erklärt, er wolle einen Ausflug unternehmen. Er hatte Ptal eingeladen – nun, es war eigentlich mehr ein Befehl als eine Einladung, dachte Ptal –, ihn zu begleiten. Makra’as Flügelhaltung ließ sofort erkennen, dass weder offizieller noch persönlicher Protest den Nestlord von seiner Absicht würde abbringen können. Also waren sie von der Klippe von L’le gestartet und flogen über den vielfarbigen und blühenden Dschungel, während vor ihnen die Sommersonne von E’rene’e aufging.
    Ptals Geduld und Durchhaltevermögen waren fast an ihren Grenzen angelangt, als Makra’a seine Flughöhe senkte und auf eine Lichtung im Dschungel zusteuerte, die vielleicht vierundsechzig Flügel breit war. Ptal folgte dem Nestlord dankbar zu diesem Ziel.
    Die Lichtung war fast perfekt kreisrund, als hätten Bäume und Unterholz einen Pakt geschlossen, nur außerhalb dieses gedachten Kreises zu wachsen. In der Mitte befand sich ein grauer Stein, dessen Oberfläche von Wind und Wetter glatt geschliffen worden war und der sich im Zentrum zu einer achteckigen Plattform erhob. Er war völlig schmucklos, aber Ptals Begabung als Fühlender ließ ihn auch die schwächste Prägung von dem Stein wahrnehmen. Sein chya gab ein deutliches, aber unverständliches Summen von sich.
    Die Luftfeuchtigkeit war sehr hoch, sodass die Luft ringsum flimmerte. In esYen – und in fast allen anderen Städten auf Zor’a - wurde das Klima künstlich kontrolliert, weshalb Ptal die Feuchtigkeit als umso unangenehmer empfand. Makra’a ließ sich nicht anmerken, ob ihm die Schwüle behagte oder nicht. Wortlos flog er dicht über die Plattform und landete. Seine Flügel brachte er in die Haltung der Ehrerbietung gegenüber den Vorfahren, dann stand er minutenlang völlig reglos da. Schließlich wandte er sich zu Ptal um und sprach zum ersten Mal an diesem Vormittag mit ihm, seit sie L’le verlassen hatten.
    »Diesen Ort gibt es seit mehr als dreitausend Zyklen, se Ptal. Wissen Sie, was er darstellt?«
    »Ich würde sagen, das ist der Stein des Gedenkens, ha Makra’a. Wenn es so ist, dann fühle ich mich geehrt, mich in seiner Gegenwart befinden zu können.«
    »Normalerweise ist dieser Ort« – Makra’a deutete auf die Lichtung, als könne er sie mit einem einzigen Ausholen seiner Flügel einnehmen – »den Nestlords und dem Hohen Lord vorbehalten. Hier wird das le’chya einem neuen Nestlord übergeben.«
    Er machte ein paar Schritte fort von Ptal, ihm den Rücken zugewandt. »Vor mehr als dreitausend Zyklen landete Kanu’u HeU’ur genau an dieser Stelle. Obwohl das Gelände und das Klima so feindselig waren, nahm er sich vor, hier sein Nest anzusiedeln und hier zu bleiben, damit der Widerstand gegen diese Bedingungen unsere Stärke sein würde und damit wir keinen Rückzieher mehr machten, wenn wir erst einmal entschieden hatten, welchen Pfad wir fliegen wollten.«
    Makra’a drehte sich um und hielt irgendetwas in der Hand. »Die Geschichte des Nestes HeU’ur sagt, dass er eine Bodenprobe von Zor’a mitgebracht hatte.« Er öffnete die Klauenhand und gab den Blick frei auf eine kleine Plastikphiole. Hier an dieser Stelle öffnete er die Bodenprobe und verteilte sie mit seinen Krallen im Boden, während er das Motto unseres Nestes sprach: se’e Mar de’sen. »Hier bleibe ich.‹« Mit einer Krallenspitze schlitzte er die Phiole auf, die Erde rieselte heraus und sammelte sich vor seinen Klauenfüßen.
    Ptal kannte die Geschichte des Nestes bestens, doch er wusste auch, dass der Nestlord etwas Bestimmtes ausdrücken wollte. Er glaubte sogar zu wissen, was es war, doch er äußerte sich nicht, sondern brachte seine Flügel in die Pose der Höflichen Annäherung und wartete ab.
    »Wir sind seit dreitausend Zyklen hier, Cousin. Mehr als hundert Generationen – von

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