BE (German Edition)
zumindest »8 Kilometer«.
Also verschwanden die Emil-Nolde-Bände, und stattdessen erschienen Stapel mit Rapperfilmen. Von »Ali G« bis »Get Rich or Die Tryin’« schaute sich Bernd alles an. Die ganze Zeit dachte er sich: Okay, Bushidos Freunde sind legal nicht ganz waschecht, aber Bushido selbst ist doch überhaupt kein Gangster. Und von welchem Ghetto redet der überhaupt? Bushido war schließlich auf dem Gymnasium gewesen, hatte eine gute Allgemeinbildung und wusste sich in einem bürgerlichen Umfeld zu verhalten. Dazu kam noch, dass Uli »Arabboy« von Güner Balci gelesen hatte und große Bedenken entwickelte: Das war schon sehr sexistisch, was sich in dieser Szene abspielte. Das fand er alles abstoßend. Bernd wollte sich darauf konzentrieren, was er an Bushido und seinen Kumpels wirklich mochte: den Humor und die Welten, die sie sich täglich zusammensponnen. Aber er wollte auch keinen »Ali G« aus Bushido machen, schließlich darf ein Film weder seinen Protagonisten noch seine Zuschauer (also Bushidos Fans) betrügen. Der Bushido-Film ist also das perfekte Beispiel dafür, was passiert, wenn alle Beteiligten einen unterschiedlichen Film im Sinn haben. Irgendwie passt das Ganze vorne und hinten nicht zusammen. Brauchte die Welt diesen Film? Nein. Aber das Team brauchte ihn, und wir alle hatten bei den Dreharbeiten einen wirklich guten Sommer. Wir haben sehr viel gelacht mit Bushido, Kay One und ihren wahnsinnigen Kumpels. Auch sie leben in ihrer Zwischenwelt, und wir durften sie dort besuchen. Und als Besucher kann man nur betrachten, zu urteilen wäre vermessen. Der beste Moment dieses Sommers war während der Dreharbeiten am Brandenburger Tor. Ich saß am Monitor, der direkt vor dem Tor aufgebaut war. Plötzlich hörte ich hinter mir ein dunkles Blubbergeräusch. Es klang, als wäre plötzlich Darth Vader am Set erschienen. Neugierig ging ich auf die andere Seite des Sichtschutzes, um zu sehen, was da vor sich ging. Das Bild, das sich mir bot, machte mich sprachlos: Da saß tatsächlich eine Gruppe von Bushidos arabischen Freunden auf Camping-Klappstühlen im Kreis und rauchten Wasserpfeife. Eine Szene wie aus »1001 Nacht«. Direkt unter dem Brandenburger Tor! In der Tat, die Zeiten ändern sich und – auch wenn es noch eine Weile dauern sollte – sie ändern dich.
ZORN
DA s erste Projekt, an das sich Bernd wagte, als er die Filmhochschule verließ, sollte auch sein letztes werden. Jedenfalls das letzte Drehbuch, das er vollendete. Es ist die zweite Hälfte der Nibelungensage, Krimhilds Rache. Bernd schrieb dieses Drehbuch 2010 und nannte es »Zorn«. Es beginnt mit der Nahaufnahme einer blonden Frau, um die vierzig Jahre alt, mit »eisgrauen Augen«, die direkt in die Kamera schaut und sagt:
Im Beginn liegt das Ende … und im Ende liegt der Beginn … ich will euch eine Geschichte erzählen … Sie stammt aus längst vergangener Zeit … als die alten Götter dem neuen Glauben weichen mussten …
Die blonde Erzählerin ist Brunhild. Aus ihrer Sicht wird die Geschichte von Siegfrieds Ermordung durch Hagen, Krimhilds Racheschwur, ihre Heirat mit Attila sowie das Blutbad, das den Konflikt zwischen Hagen und Krimhild an Attilas Hof auslöst, aufgerollt. Es ist unheimlich, wie prophetisch dieser Anfang ist. Aber Bernd hatte immer schon ein Talent für Vorahnungen. »Im Beginn liegt das Ende« ist übrigens auch, was er über Beziehungen zu sagen pflegte. »Tief in mir wusste ich immer schon ganz zu Anfang, wie die Beziehung zu Ende gehen würde. Woran sie scheitern würde. Bei dir habe ich keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie es zu Ende gehen wird«, sagte Bernd mir über die Jahre immer wieder. Es war eins der schönsten Komplimente, das er mir gemacht hat. Es stimmt ja auch. Die Geschichte hört mit dem Tod nicht auf. Sie verändert nur radikal ihren Verlauf. Aber auch sonst ist »Zorn« Bernd Eichinger im Reinformat: radikal, maßlos, von einer tobenden Energie. Ein Atomkraftwerk von einem Drehbuch. Es geht um all die Themen, die Bernd über die Jahrzehnte hinweg immer wieder in seinen Filmen beschäftigt haben: die Heldenreise am Abgrund, der Körper als Waffe, die verzweifelte Auflehnung gegen ein übermächtiges System, Fanatismus … Es ist das wahnwitzige Rütteln an den Gitterstäben des Lebens.
Krimhild wird zur Medea und Hagen zum Hector, der um Unsterblichkeit kämpft. Es ist eine Gewaltorgie, die die Gewalt als sinnlos entlarven und ad absurdum führen soll. In diesem Sinne ist
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