BE (German Edition)
blew it, man. We blew it.«
Am nächsten Tag setzten wir uns ab nach Venedig. Der Ort, den Bernd endlich schon einmal mit einer Frau, die er liebte, besuchen wollte. Bisher sei ihm das noch nicht möglich gewesen. Wir freuten uns beide auf diese Stadt. Dort warteten wir auf die Besucherzahlen, die Bernd sehr zufriedenstellten. Der Film lief gut. Wir hatten Grund zum Feiern! Eines Abends, wir lagen im Bett, in unserem dunkelgrünen, etwas düsteren Zimmer im Hotel Danieli, wurde Bernd ein Fax zugestellt. Es waren eng, mit Schreibmaschine beschriebene Seiten. Bernd bat mich, es ihm vorzulesen. Mir liegt noch heute der moderige, leicht klamme Geruch in der Nase, wenn ich daran zurückdenke, wie ich, bemüht nicht zu stottern, Bernd das Bekennerschreiben der linksradikalen Gruppe vorlas, die den Anschlag auf Stefan Austs Haus verübt hatte. Es war ein sehr intelligent geschriebener Text, und doch war es wie eine Stimme aus der Gruft. Es war nicht der Tod in Venedig, aber doch der Scheintod.
Bernd hielt »Der Baader Meinhof Komplex« für seinen besten und radikalsten Film. Der Film, bei dem er die Anforderungen, die das Drehbuch an den Zuschauer stellen kann, am weitesten ausreizte. Dass der Film bei den deutschen Kritikern wieder einmal durchgefallen war und beim Deutschen Filmpreis leer ausging, war unangenehm, aber keine Überraschung. Eine sehr angenehme Überraschung dagegen waren die Reaktionen der US-Medien. Christopher Hitchins schrieb eine Lobeshymne auf den Film. Manohla Dargis beschrieb den Film in der New York Times als »spannungsgeladen, nervenzerfetzend und überzeugend unromantisch« und machte ihn zum Movietip der Woche, in der auch »Inglourious Basterds« in den US-Kinos anlief. »Der Baader Meinhof Komplex« wurde sowohl für einen Golden Globe als auch für einen Oscar nominiert – für Bernd nach »Der Untergang« die zweite Oscar-Nominierung für einen Film, zu dem er das Drehbuch geschrieben hatte.
In den USA versetzte der Film die Leute in Staunen angesichts der schieren Energie, die er lostrat. Sowohl Bernd als auch Uli waren sprachlos, als ihr Idol William Friedkin, der Regisseur von »French Connection – Brennpunkt Brooklyn«, Bernd ansprach und ihm anbot, die Oscar-Kampagne für »Der Baader Meinhof Komplex« zu unterstützen. Im Studio des Designers und Künstlers Shepard Fairey, der Mann hinter dem berühmten »CHANGE«-Plakat für Obamas Präsidentschaftskampagne, entstand ein großartiges Filmplakat für den US-Markt. Kurzum, in den USA wurde »Der Baader Meinhof Komplex« mit offenen Armen empfangen. Das alles war Balsam auf Bernds Seele, die nach der explosiven Kinetik, die der Film in Deutschland ausgelöst hatte, doch etwas geschunden war.
»Der Baader Meinhof Komplex« existiert. Er wurde und wird weiterhin von Leuten gesehen werden, die mit den alten Diskussionen nichts zu tun haben. Von Leuten, die vielleicht gar nicht mehr wissen, dass es einen deutschen linksradikalen Terrorismus gab. Von Leuten, die für sich selbst die Entscheidung treffen müssen, was Verantwortung bedeutet und welche Rechtfertigung politische Gewalt haben kann. In diesem Zusammenhang erhielt ich folgende E-Mail von Bill Ayers, heute ein pensionierter Professor der Universität von Chicago und Begründer der »Weathermen« – also der terroristischen Untergrundorganisation, die in den Siebzigern eine Serie von Bombenanschlägen auf öffentliche Einrichtungen in den USA verübte. Bernd war mit Ayers im Zuge der Oscar-Vorbereitungen in Kontakt getreten, weil er wissen wollte, was dieser von »Der Baader Meinhof Komplex« hielt.
Bill Ayers schrieb mir 2011:
Im Zusammenhang mit »Der Baader Meinhof Komplex« ist für mich vor allem ein Screening relevant, das in einem kleinen unabhängigen Kino hier in Chicago stattfand und zu dem mich eine Gruppe junger Aktivisten eingeladen hatte. Danach gab es eine sehr lebhafte und aufschlussreiche Diskussion. Das waren alles Leute, die nicht persönlich verwickelt waren in diese Zeit, es gab keine Fraktionen, die verteidigten oder angriffen, keine perfekt ausgefeilten und lang geübten Standpunkte. Sie sahen den Film vollkommen unvoreingenommen. Was sie am meisten beschäftigte und unsere Unterhaltung beherrschte waren verschiedene Punkte: Erstens war da die Frage nach dem Engagement und was man bereit sein muss auszuhalten, wenn man mit dem Staat kämpft. Zweitens kam die Frage des Generationskonflikts und was es bedeutet, wenn man sich mit den
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