Beastly (German Edition)
gerade weggehen.
Wills Stimme hielt mich zurück. »Adrian.«
Ich drehte mich um.
»Manchmal hilft es auch, ein bisschen weniger stolz zu sein.«
»Noch so ein Volltreffer«, sagte ich. »Ich hab inzwischen sowieso keinen Stolz mehr.«
Aber eine Stunde später klopfte ich wieder an Lindys Tür. Ich würde keinen Stolz zeigen, nur Zerknirschtheit. Das war schwierig, weil ich sie nicht gehen lassen wollte. Das konnte ich einfach nicht.
»Verschwinde!«, rief sie. »Nur weil du mich hier festhältst, heißt das nicht, dass ich…«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Aber könnte ich vielleicht…würdest du mir einen Augenblick zuhören?«
»Habe ich eine andere Wahl?«, sagte sie.
»Ja. Ja, du hast eine Wahl. Du hast eine ganze Menge Optionen. Du kannst mich anhören oder mir sagen, dass ich mich verpissen soll. Du kannst mich für immer ignorieren. Du hast recht. Du hast getan, was du konntest, indem du hierhergekommen bist. Wir müssen keine Freunde werden.«
»Freunde? So nennst du das also?«
»Das ist, was ich…« Ich hielt inne. Es war zu pathetisch zu sagen, dass es das war, was ich gehofft hatte, dass ich keine Freunde hatte und mir so sehr wünschte, sie würde mit mir sprechen, mit mir Zeit verbringen, mit mir lachen und mich zurück in die reale Welt holen. Mehr brauchte ich gar nicht. Was für ein Loser ich wäre, wenn ich das sagen würde.
Ich erinnerte mich daran, was Will über Stolz gesagt hatte. »Ich hoffe, wir können eines Tages Freunde sein. Ich verstehe, wenn du das nicht möchtest, wenn du…« Ich brachte die Worte wenn du angewidert, abgestoßen, entsetzt bist nicht heraus. »Schau mal, du musst wissen, dass ich kein Menschenfleisch fresse oder so. Ich bin ein Mensch, auch wenn ich nicht so aussehe. Und ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht willst, außer dass du hier bleiben musst. Ich hoffe, du entschließt dich bald, herauszukommen.«
»Ich hasse dich!«
»Ja, das erwähntest du schon.« Ihre Worte waren wie Peitschenhiebe, aber ich sprach weiter. »Will und Magda arbeiten hier. Will kann dich unterrichten, wenn du möchtest. Magda kocht für dich. Sie wird dein Zimmer putzen, deine Wäsche waschen, was immer du willst.«
»Ich…ich möchte überhaupt nichts. Ich möchte mein Leben zurückhaben.«
»Ich weiß«, sagte ich und erinnerte mich daran, was Will über ihre Gefühle gesagt hatte. Ich hatte eine Stunde lang über ihre Gefühle nachgedacht, darüber, wie sie ihren furchtbaren Vater wahrscheinlich liebte, genau wie ich – und ich hasste es, das zugeben zu müssen – meinen Vater liebte. »Ich hoffe…« Ich verstummte, dachte nach und beschloss dann, dass Will recht hatte. »Ich hoffe, du wirst irgendwann herauskommen, weil …« Ich brachte die nächsten Worte nicht heraus.
»Weil was?«
Mein Blick fiel auf eines der gerahmten Bilder im Korridor, in dessen Glas ich mich spiegelte, und ich konnte es nicht sagen. Es ging einfach nicht. »Nichts.«
Eine Stunde später war das Essen fertig. Magda hatte einen herrlich duftenden Arroz con Pollo zubereitet. Auf meine Bitte hin klopfte sie mit einem Tablett an Lindas Zimmer.
»Ich will kein Abendessen«, kam Lindas Antwort. »Machen Sie Witze?«
»Ich habe ein Tablett mitgebracht«, sagte Magda. »Isst du da drin?«
Pause. Dann: »Ja. Ja bitte. Das wäre toll. Vielen Dank.«
Ich aß wie immer mit Magda und Will zu Abend. Danach sagte ich: »Ich gehe schlafen.« Ich warf Will einen Blick zu, der sagte: Ich habe alles so gemacht, wie Sie gesagt haben, aber es hat nicht funktioniert.
Obwohl er nicht sehen konnte, sagte er: »Geduld.«
Aber ich konnte nicht schlafen, weil ich wusste, dass sie zwei Stockwerke über mir war, und weil ich spürte, wie ihr Hass durch die Belüftungsschlitze der Klimaanlage, durch die Wände und Böden sickerte. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Es würde niemals klappen. Ich war eine Bestie und würde als Bestie sterben.
6
»Mir ist etwas eingefallen, das helfen könnte.«, sagte Will am Tag nach ihrer Ankunft.
»Und zwar?«, fragte ich.
»Funkstille. Wenn du sie in Ruhe lässt, taut sie vielleicht auf.«
»Vielleicht sind Sie ja deshalb nicht gerade von Mädchen umzingelt.«
»Mit ihr zu reden hat nichts gebracht, oder?«
Ich musste zugeben, dass er recht hatte, daher beschloss ich, seinem Rat zu folgen. Zunehmend beunruhigte mich der Gedanke, dass sie mich bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Was würde sie sagen, wenn sie mich erst sah?
In den nächsten
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