Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
ganzen Vormittag. Voiture 25, place 61 , genau wie es auf meinem Ticket steht. Nur dass ...
Nur dass ich irgendwie in Voiture 24 gelandet bin, wie mir klar wird, als ich auf das Schild über dem Fenster schaue. Ich muss beim Verlassen der Toilette aus Versehen in die falsche Richtung gelaufen sein.
»Oh!«, sage ich. Es klingt kehlig und verlegen. »Das tut mir leid. Ich bin in die falsche ...«
»Schon in Ordnung.« Der Typ lacht. Er hat helle Haut und grobe Gesichtszüge und sieht damit ganz anders aus als der Großteil der Franzosen vom Lycée. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass ich aus dem Bistrowagen komme, und da sitzt eine schöne Amerikanerin auf meinem Platz. Das macht diese elend lange Fahrt doch gleich viel angenehmer.« Aus irgendeinem Grund kommt er mir mit seiner Baseball-Kappe und seiner großen, massigen Statur wie ein Amerikaner vor, so vertraut wie die Jungs aus meinem Programm. Wie Jay.
Zurückhaltend lächle ich ihn an, trotz meInès Instinkts, ihm nicht zu trauen, überhaupt niemandem zu trauen. »Excusez-moi.« Ich stehe auf, vermeide aber den Blickkontakt, als ich auf Augenhöhe mit dem jungen Mann bin.
»Nein, bitte bleiben Sie doch.« Er gibt mir ein Zeichen, wieder Platz zu nehmen, und setzt sich mir gegenüber. »Nur zu.«
Ich schaue in die Richtung des Waggons, aus dem ich gekommen bin. Was würde ich darum geben, wieder in Ruhe und allein für mich weiterzufahren, so wie es war, bevor ich mich auf den Sitzplatz des jungen Mannes gesetzt habe. Aber das wäre unhöflich. Es darf nicht so rüberkommen, als würde ich ihm ausweichen. »Ja, vielleicht ganz kurz«, sage ich mit bemüht heller und leichter Stimme, um meine Nervosität zu überspielen, die sich unter meiner schweren Wolljacke in einer dicken Schweißschicht abzeichnet. Die alte Jacke von meinem Dad beruhigt mich normalerweise. Aber nicht heute. Ich werde erst wieder zur Ruhe kommen, wenn ich Annabel gefunden habe.
»Es wird also gestreikt? Ist das das Problem?« Ich wechsle ins Französische.
»Ah, oui«, antwortet der Typ. »Sie haben das wahre Frankreich noch nicht wirklich erlebt, wenn Sie keinen unserer Zugstreiks mitbekommen haben. Natürlich passiert es ausgerechnet immer dann, wenn man gerade dringend irgendwohin muss, und es dauert normalerweise mehrere Wochen. Ich hoffe, Sie haben es nicht eilig, nach Rouen zu kommen.«
Oh doch, entgegne ich im Stillen. Aber das sage ich lieber nicht laut. Ich werde meine Gefühle für mich behalten, bis ich in Rouen bin. Lass mich nur endlich dort ankommen!
An den vielen Stromleitungen und rostigen Gleisen draußen vor dem Fenster kann ich erkennen, dass wir uns einem Bahnhof nähern. Auf dem ramponierten Schild am Bahnsteig steht aber nicht Rouen, wie ich kurz gehofft hatte, auch wenn wir die Fahrtrichtung geändert haben. Da steht Forges-les-Eaux. Von diesem Ort habe ich noch nie gehört. Er wirkt klein und wie ausgestorben. In lauen Sommermonaten wäre es hier vielleicht erträglich, aber jetzt, mitten im dunklen französischen Winter, ist er gottverlassen.
Alle Zugtüren öffnen sich. In Paris hat es letzte Nacht zum ersten Mal in diesem Winter geschneit, sodass die ganze Stadt unter einer eisigen Decke liegt. Hier sieht es dagegen so aus, als würde es schon seit Wochen schneien. Ein paar abgekoppelte Waggons auf den Abstellgleisen sind vollkommen unter weißen Schneemassen begraben.
Der Schaffner meldet sich wieder mit einer Lautsprecherdurchsage. Alle sollen aussteigen. Es werde keinen weiteren Halt mehr geben. Die Zugfahrt endet ici. Die wenigen Leute an Bord murren und fischen in ihren Taschen nach ihren Handys.
»Quoi?«, stoße ich hervor. Hilfe suchend wende ich mich dem jungen Mann mit der Baseball-Kappe zu, um mir bestätigen zu lassen, dass ich gerade eben richtig gehört habe. Aber er ist verschwunden. Nirgends ist auch nur eine Spur von ihm zu sehen, die verraten würde, dass er überhaupt hier gewesen ist.
Im eisig kalten Bahnhof, dessen Cafés und Toiletten über die Feiertage geschlossen sind, überfliege ich eine Karte der Normandie, um abzuschätzen, wie weit ich von Rouen entfernt bin. Ein paar Bahnhofsmitarbeiter laufen geschäftig hin und her, um alles schnell dichtzumachen.
»Excusez-moi?« Ich halte einen von ihnen auf, einen korpulenten Mann in einer schmuddeligen blauen Uniform. Er raucht eine Zigarette und ascht auf den verdreckten Steinboden.
»Wir streiken! Nous sommes en grève!«, schnauzt der
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