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Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Titel: Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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an Jay gedacht, als ich aufblickte und der junge Franzose mit dem Baseball-Käppi vor mir stand und mich angrinste, als ich meinen Irrtum bemerkte. Jay trägt oft solche Käppis. Ob er wohl jetzt, in dieser Eiseskälte, seine Chicago-Cubs gegen eine Wollmütze eingetauscht hat?
    Wäre ich, wenn ich in Paris geblieben wäre, mit Jay zusammengekommen? Hätte ich mich bei ihm sicher, geborgen und geliebt gefühlt? Wenn er mich irgendwann geküsst hatte, hätten sich seine Lippen so weich angefühlt, wie sie aussehen? Wenn ich mich wirklich auf ihn eingelassen hätte, hätte er dann herausgefunden, wie er mich zum Lachen bringt, wie er mich aus meinem Panzer aus Angst und Verwirrung herauslocken kann? Hätte ich bei Jay endlich Ruhe finden können? Wäre mein Traum von einem neuen Leben in Paris wahr geworden?
    Was für ein kalter Gedanke für solch eine kalte Nacht. Trotz meiner gewissenhaften und ernsthaften Anstrengungen habe ich mir die Marquets zu Feinden gemacht. Sie sind ein mächtiges Paar, das notfalls über Leichen geht, wenn irgendetwas zwischen ihnen und der politischen beziehungsweise der gesellschaftlichen Macht steht. Sie gehören zu den Menschen, die weder vergeben noch vergessen und die irgendwie alles über einen wissen, ohne dass es der Betreffende selbst weiß.
    In wenigen Monaten werde ich achtzehn. Wenn ich Annabel finden und mich bis dahin mit ihr verstecken kann, muss ich nie mehr nach Vermont zurück und auch nicht nach Paris.
    Annabel wird wissen, was zu tun ist. Sie ist sehr gut darin, sich zu verstecken.
    Das blonde Mädchen zieht ein letztes Mal an ihrer Zigarette und drückt die Kippe dann aus. Ungeduldig beugt sie sich auf ihren Plateaustiefeln vor, um zu sehen, ob sie schon die Scheinwerfer vom Auto ihres Bruders auf der dunklen Straße, die zum Bahnhof führt, erkennen kann. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich in den Minuten, in denen sie ihre Zigarette geraucht hat, schweigend meinen eigenen Gedanken nachgehangen habe.
    »Du bist also aus Paris?«, frage ich verlegen.
    »Oui. Also, ich gehe dort auf die Kunsthochschule. Auf die Ecole Nationale des Beaux-Arts. Ich male.« Erst jetzt sehe ich die vielen Farbspritzer auf ihrer Schlaghose. Auch ihre Hände sind mit Kohle- und Tintenflecken besprenkelt. Sofort habe ich das Gefühl, dass ich mit ihr reden kann, schon allein wegen der leichten Trauerränder unter ihren Fingernägeln. Genau wie bei mir, wenn ich gerade ein Bild male ...
    »Ich male auch!«, erzähle ich ihr. »Es muss toll sein, auf die Kunsthochschule zu gehen.« Das war mal einer meiner großen Träume - früher, als ich noch Träume hatte.
    »Wo gehst du denn zur Schule?«, fragt sie mich.
    »Auf das Lycée de Monceau«, sage ich, ohne nachzudenken. »Ich bin im >Programme Americain<.«
    »Ah, auf das Lycée«, sagt sie. Das Lycée hat in Paris den Ruf, eine strenge französische Privatschule zu sein, die auf die Uni vorbereitet, mit sehr strikten Aufnahmebedingungen. Selbst Nicht-Pariser kennen es häufig. Die Freunde der Marquets in der Dordogne waren sehr beeindruckt, als sie hörten, dass ich dort zur Schule gehe. »Und du fährst über Weihnachten nach Rouen?«, fragt das Mädchen weiter. »Leben dort Verwandte von dir?«
    »Ähm«, sage ich zögernd. »Ähm, ja. Ich glaube schon.«
    »Du weißt es nicht sicher?«
    »Nein«, gebe ich zu. »Ich glaube ... ich glaube, meine Schwester wohnt dort.« Als ich Annabel erwähne, wird sie plötzlich ganz real und greifbar für mich. Sie muss einfach in Rouen sein. Vielleicht habe ich ja zu lange gebraucht, um das herauszufinden, aber es muss einfach stimmen. Ich weiß es, ganz tief in mir drin, genauso, wie ich auch wusste, dass sie Dave nie heiraten würde.
    »Verstehe«, sagt das Mädchen. Genau in diesem Augenblick kommt ein Wagen angefahren, ein kleiner silberner Citroën. Wir drängen uns in das enge Auto und stapeln unsere Rucksäcke und meine Leinentasche zu uns auf die Rückbank. Das Mädchen und ihr Bruder führen ein kurzes Gespräch, das ich aber nicht ganz verstehe. Wahrscheinlich hat sie ihn darüber informiert, dass ich mit ihnen nach Gournay-en-Bray fahre. Er nickt mir zu.
    Ich lächle matt. »Danke, dass du mich mitnimmst.«
    Während der einlullenden gleichmäßigen Fahrt über die leeren Straßen wird mir ein bisschen schlecht. Gleichzeitig werde ich schläfrig. Im Auto ist es im Vergleich zur klirrend kalten Nacht bullig warm. Innerhalb weniger Sekunden schlafe ich tief und fest. Als ich im harten, grellen

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