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Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Titel: Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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Mann mich an. »Pas de trains! Schauen Sie sich den Busfahrplan an, s'il vous plaît!« Er deutet auf einen alten und an den Rändern bräunlich vergilbten Anschlag an der gegenüberliegenden Wand.
    Ängstlich überfliege ich den Fahrplan. Ich beiße mir fest auf die Lippe. Auf eine merkwürdige Art und Weise genieße ich den Schmerz. Ich finde Paris, dann Rouen, dann Forges-les-Eaux. Ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, hat sich der Plan nicht verändert.
    Entsetzt muss ich feststellen, dass es leider genau so ist, wie ich vermutet habe: Der Zug, in dem ich saß, ist in die falsche Richtung gefahren. Dadurch bin ich mehrere Kilometer vom Kurs abgekommen. Der Busschalter, ein kleInès Fensterchen mit einem Schild darüber, auf dem steht: L'AUTOBUS REGIONAL, ist bis morgen früh geschlossen.
    Zum ersten Mal, seit ich mitten in der Nacht aus dem Stadthaus der Marquets abgehauen bin, bereue ich meine Entscheidung, aus Paris weggegangen zu sein. Nur einem Idioten kann es passieren, an Weihnachten in diesem kleinen Städtchen in der Normandie zu stranden, von der Außenwelt abgeschnitten.
    Aber nein, denke ich, als mir wieder einfällt, wie M. Marquet versucht hat, mich mit seinen großen Pranken in dem schwach beleuchteten Zimmer, in dem ich in seiner protzigen Unterkunft in Ternes gewohnt habe, überall zu begrapschen. Die Erinnerung ist verzerrt, vom Schlafmangel verschwommen, aber ich spüre, bis hinunter in meine eisigen Zehen, dass es überall, sogar in Forges-les-Eaux, besser ist als an dem schrecklichen Ort, an dem ich gelebt habe.
    Am Bahnhof sitzt noch ein anderes Mädchen fest, sie ist ungefähr in meinem Alter. Vielleicht ein bisschen älter. Sie ist ebenfalls blond. Meine Haare sind lang und ungekämmt, während sie eine flippige Kurzhaarfrisur hat, die gut zu ihrem fröhlichen Outfit passt. Sie steht am Bahnhofseingang und liest in einem Taschenfahrplan. Auf ihrem Gesicht, das aussieht wie das eInès Fotomodells, spiegelt sich Besorgnis wider, während sie auf ihrem Handy eine SMS schreibt.
    Das Mädchen strahlt, als ihr Handy piepst und sie offenbar eine positive Antwort bekommen hat. Sie will gerade die massive dunkle Holztür zum Parkplatz öffnen, als sie aufschaut und meinen Blick auffängt. Ohne es zu wollen, sehe ich sie traurig, fast klagend an. Das blonde Mädchen schaut fröstelnd auf die Uhr und blickt sich dann noch einmal prüfend im leeren Bahnhof um.
    Sie kommt zu mir herüber. Dabei hat sie ihre hellen, fast unsichtbaren Augenbrauen zusammengezogen. »Sie machen hier gleich alles dicht«, sagt sie auf Französisch zu mir. »Hier kannst du nicht bleiben.«
    »Ich weiß«, sage ich mit trockener Kehle und krächze wegen des eisigen Wetters. »Aber ich muss nach Rouen. Unbedingt.«
    »Mein Bruder wohnt in Gournay-en-Bray. Das ist nicht allzu weit entfernt«, sagt sie mit einem leichten Zögern in der Stimme. »Das ist zwar nicht Rouen ... aber von dort kannst du den Nahverkehrszug nehmen. Mein Bruder holt mich ab.«
    »Oh.« Ich kann irgendwie nicht ganz folgen.
    »Möchtest du mitfahren?«, fragt sie und wiederholt: »Hier kannst du nicht bleiben.« Anscheinend hält sie mich für eine begriffstutzige Amerikanerin.
    »Ja«, flüstere ich dankbar. »Aber warte mal kurz. Streiken denn nicht alle Züge?«
    »Nur die Intercitys und internationalen Züge«, antwortet das blonde Mädchen. »Die Regionalbahnen fahren. Ich glaube, heute Abend geht noch einer nach Rouen. Wir müssen uns beeilen.«
    Ich folge ihr auf den Gehweg hinaus, wo sie sich eine Zigarette ansteckt und mir auch eine anbietet. Ich schüttle den Kopf.
    Was Alex jetzt wohl tun würde?
    Aber Alex wäre erst gar nicht in so eine Situation geraten. Sobald sie das Wort grève gehört hätte, hätte sie sich ein Taxi organisiert, das sie abholt. Und zweitens hätte Alex die Zigarette mit Freuden angenommen, wenn sie nicht sowieso schon eine in ihrer mit dem roten Wildlederhandschuh bekleideten Hand gehalten hätte.
    So ist Alex eben. Jetzt bin ich so weit weg von ihr und fange doch tatsächlich an, sie zu vermissen.
    Wer hätte das gedacht?, sinniere ich traurig.
    Ich vermisse sie alle: Alex, Zack, Olivia, Jay ... alle aus dem »Programme Américain«. Aber ganz besonders Jay. An ihn habe ich auch gedacht, als ich Madame Bovary gelesen habe, immer wenn Flaubert den Liebeskummer des liebenden Charles Bovary beschrieb, aber auch in der Schilderung von Leon, der vor allem eins wollte: Emma glücklich machen. Ich habe auch kurz

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