Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
Bobby war so locker und ungezwungen, dass er das Ganze erträglicher gemacht hat.
Vielleicht hatte Pierson vor dem Van-Gogh-Museum ja doch recht. Vielleicht ist Bobby cooler, als ich es wahrhaben wollte. Vielleicht wären er und ich ein tolles Paar geworden. Ich weiß nicht mit Sicherheit, ob er versucht hat, mich zu küssen oder mit mir anzubändeln. Es fühlte sich damals so an, aber um ehrlich zu sein, war ich auch noch ein bisschen stoned vom Joint gewesen, den wir vor der Besichtigung des Anne-Frank-Hauses geraucht hatten. Etwas an der Gedenkstätte hat mich verstört.
Ist das nicht verständlich?
Wenn man mit einem Typen, der sich erst kürzlich als schwul geoutet hat, anbändeln will, geht man mit ihm doch nicht an einen Ort, der einem vor Augen hält, wie viele Leute gelitten haben, weil sie anders waren, oder?
Ich denke an den Nachmittag mit mir und Bobby am Kanalufer zurück, beide pitschnass, und ich kann nicht mehr aufhören zu lachen. Was für ein urkomisches Bild wir wohl abgegeben haben!
Ich ziehe meine Kamera heraus und schaue die vielen Dutzend Fotos durch, die ich während der Ferien geschossen habe. Da bin ich mit Alex in unseren Hauslatschen in der Wohnung ihres Vaters in Montauban, als wir gerade Take-out-Gyros vor dem riesigen Fernseher essen. Dann ich mit einigen Typen im Klub in Toulouse, meine neuen besten Freunde, wenn auch nur für eine Nacht. Ich mit Alex und Jay, aufgebrezelt auf dem Balkon in Cannes - wir haben den Kellner vom Zimmerservice, der Alex eine Cola Light gebracht hat, gebeten, ein Foto zu machen, bevor wir in die Hotelbar hinuntergegangen sind. Oh, verdammt, da ist die Radtour in Amsterdam, an dem frischen, windigen Tag, als wir nur mit Sweatshirts bekleidet herumgefahren sind.
Kurz entschlossen schreibe ich Bobby eine SMS.
Weißt du was ?
Nur zehn Minuten später schreibt Bobby zurück.
Was denn?
Ich bin ein Trottel.
Nur allzu wahr. Aber wieso sagst du mir das?
Hab gerade etwas mehr Durchblick. Weißt du, was noch?
Was?
Ich fände es toll, wenn du in den Semesterferien im Frühling kommen würdest.
Echt? Das fändest du nicht komisch?
Gar nicht. Ich würde dich gern wiedersehen - sehen, was passiert.
Das wäre cool. Lass uns das ins Auge fassen. Aber bitte schubs mich nicht mehr in irgendwelche Kanäle.
Dabei hast du echt heiß ausgesehen, so nass.
Versprochen?
Versprochen.
Okay, dann bis in ein paar Monaten.
Noch immer mit einem leichten Lächeln auf den Lippen döse ich vor mich hin, als der Zug ruckelnd in den Bahnhof von Rouen einfährt, wo ich umsteigen muss. Ich sause zum gegenüberliegenden Bahnsteig und springe in den Expresszug nach Paris Saint-Lazare, in der stillen Hoffnung, dass es noch freie Fensterplätze gibt. Es gibt nur einen einzigen, ganz hinten, aber auch wenn mir der nicht zugewiesen wurde, setze ich mich dorthin. Ich habe vor, ans Fenster gelehnt weiterzuschlafen, anstatt auf dem Schoß irgendeiner älteren französischen Dame, die sicher nicht allzu erbaut davon gewesen wäre.
Rouen. Ich erinnere mich an den Städtenamen aus Madame Bovary. Den Roman haben wir in meinem Weltliteraturkurs gelesen und einige Eltern sind wegen der Lektüre eines so geschmacklosen Buchs halb auf die Barrikaden gegangen. Tja, das ist eben Memphis. Möglicherweise der erhabenste aller französischen Romane, aber die halbe Stadt möchte nicht, dass ihre kostbaren Kinder solch teuflischer sexualisierter Lektüre ausgesetzt werden. Meine eigenen Eltern waren sogar unter denen, die forderten, dass die Lektüreliste der Schule vom Pastor unserer Kirche überprüft würde. Mein Dad hat auf einem Schulausschusstreffen eine flammende Rede gehalten.
Ich habe mich echt so geschämt.
Natürlich habe ich das Buch trotzdem gelesen, während der Kampf zwischen den Lehrern (die ihren Schülern von der Welt erzählen wollen) und den Eltern (die ihre Kinder im Glauben lassen möchten, dass alle hinter einem weißen Lattenzaun ohne Sex aufwachsen) weitertobte.
Soweit ich noch weiß, ist Rouen der Ort, an den Emma Bovary fuhr, um ihren Geliebten zu treffen. Ich spähe auf den Bahnsteig und frage mich dabei, welche anderen Geheimnisse dieses kleine Städtchen wohl verbirgt. Hat Emma den Bewohnern als Hinterlassenschaft glühende Affären und sinnlose Tode und Nöte vermacht? Kurz lasse ich meiner Fantasie freien Lauf und stelle mir die wunderbaren Szenen so vor, wie Flaubert sie beschrieben hat: Emma im dunklen Mantel, unter dem sie ihr Kleid aus Schappeseide und das
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