Beautiful Americans - 03 - Leben á la carte
haben?
Mein Magen verkrampft sich, mein ganzer Körper kribbelt und kneift vor Selbsthass. Wie konnte ich das nur zulassen? Wie ist das alles nur so entsetzlich schiefgelaufen?
»Ich geh jetzt«, sage ich mit bemüht ruhiger und lässiger Stimme. »Der Turnschuh-Laden ist gleich da drüben.« Ich deute auf eine Leuchtreklame. Der Laden ist nicht zu übersehen, ich hätte gar nicht draufzeigen müssen. Aber ich wusste nur nicht, wie ich diese Unterhaltung anders beenden sollte. »Tschüss«, sage ich abrupt.
»Und jetzt rennst du mit deinen Turnschuhen also weg, ja?« André lacht. »Ist klar. Dann bis später.«
Auf dem Weg hinaus muss ich einer großen Gruppe französischer Teenager ausweichen, die in der Mitte des Einkaufszentrums herumlungert und die Rolltreppe nach oben blockiert. Sie achten überhaupt nicht auf ihre Umgebung. Ein paar von ihnen kicken einen Fußball und treffen mit einem misslungenen Schuss fast die Vitrine eines Handyladens. In meiner Hast falle ich beinahe über das ausgestreckte Bein eines Jungen, der gerade mit seinen Freunden herumalbert. Er schaut mich böse an, als würde es seinen Tag ruinieren, dass ich seinen Weg kreuze und er mir sogar ein bisschen ausweichen muss.
Keine Ahnung, wie ich je denken konnte, dass ich nach Paris gehöre, fährt es mir verzweifelt durch den Sinn, während ich über den angelegten, begrünten Platz vor dem Eingang zu Les Halles laufe. Alles, was mir so nah schien, entgleitet mir, und ich kann nichts dagegen tun. Ich gehöre nirgendwohin.
15 • ALEX
Kleine Flucht
Am Donnerstagmorgen halte ich es nicht mehr aus: Wenn ich noch einen Tag länger ein trauriges T-Shirt, Jeans und Turnschuhe anziehen muss, drehe ich durch! Wo bleibt mein kreativer Selbstausdruck? Also reiße ich meine Schranktür auf und zerre meine Frühlingskleider von den Bügeln, um endlich wieder zu meinem alten Ich zu werden - das Ich, das immer so stolz auf seine äußere Erscheinung war.
Zu guter Letzt entscheide ich mich für ein weißes Tanktop unter einem weiten geblümten Seidenkleid mit einer langen Strickjacke, einem großen Baumwolltuch, das ich mir lose um den Hals gewickelt habe, und kurzen blaugrünen halbhohen Stiefeln mit groben Netzstrümpfen.
Meine Haare drapiere ich in großen Wellen um mein Gesicht, dann nicke ich zufrieden. Es macht einen Riesenunterschied, wenn man sich schön macht. Ich kann schon jetzt sagen, dass heute ein fabelhafter Tag wird!
Es ist eben alles eine Frage der Haltung. Und der Klamotten.
In der Schule hole ich mir vor meiner ersten Unterrichtsstunde einen Café Creme aus dem Automaten im Flur und suche mir dann einen Platz neben Olivia. Sie wirkt während des gesamten Unterrichts geistesabwesend und schreibt auch nichts wirklich mit. Das ist ganz untypisch für sie. Als ich ihr einen Kaugummi anbiete, starrt sie auf die Packung, als hätte sie noch nie zuvor Kaugummi gesehen.
Natürlich weiß ich, was mit Drew geschehen ist. Das haben alle mitbekommen. Im Lycée kursieren jede Menge wilde Geschichten. Katie und Elena, zwei Mädchen aus dem Mittleren Westen, die sich angefreundet haben und mit denen ich manchmal im Sport zusammen laufe, haben mir erzählt, dass Drew Olivia mit einem Messer gezwungen hätte, mit ihm zu schlafen. Laut einer anderen Geschichte schlafen Olivia und Drew schon längere Zeit heimlich miteinander - bereits das ganze Jahr, um genau zu sein. Erst als Livvy dabei erwischt wurde, hat sie dann behauptet, sie sei vergewaltigt worden. Ein paar Jungs haben kommentiert, dass Olivia sich seit den Weihnachtsferien viel kesser verhält und kleidet als früher. Andere meinen zu wissen, dass sie es schon lange mit ihrem Gastbruder treibt, und wieder andere halten sie für eine Schlampe, weil sie ihren Freund zu Hause abserviert und sich dann so schnell auf einen Franzosen eingelassen hat. Es gibt sogar Gerüchte, die besagen, dass Livvy einen flotten Dreier mit Zack und einem Tänzerfreund von ihr hat!
Natürlich verteidige ich Olivia immer, immer mit gefletschten Zähnen und verhalte mich absolut loyal.
Wie können sie es nur wagen, sie so anzugreifen! Sie ist wirklich der herzensbeste Mensch, der mir je untergekommen ist.
Die Einzigen, die die ganze Wahrheit kennen, sind natürlich Livvy, Drew und Zack. Drew ist weg, er wurde für das restliche Schuljahr auf eine Militärakademie geschickt, soweit ich gehört habe. Und Livvy und Zack äußern sich nicht wirklich dazu, was in jener Nacht passiert ist. Normalerweise würde
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