Beautiful Americans - 03 - Leben á la carte
ich darauf brennen, die ganze Story zu erfahren, aber in dieser Situation weiß ich, dass Livvy es mir schon erzählen wird, wenn sie es denn möchte. Und wenn nicht, auch gut.
Aber ich mache mir Sorgen um sie. Ich schaue zu Zack hinüber, der sich über sein Schulheft gebeugt hat. Seine Haare, die er sonst so sorgsam mit Gel und Haarspray zurechtmacht, liegen flach an, ohne jedes Kosmetikprodukt. Mit nur einem schlichten schwarzen Pulli und seiner schwarzen Jeans bekleidet, sieht er wirklich furchtbar trostlos und traurig aus. Auch Livvy hat wieder angefangen, Schwarz zu tragen, genau wie zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres.
Angesichts der Atmosphäre im Lycée erscheint mir die Farbe meines geblümten Kleids plötzlich irgendwie ganz unpassend. Und es ist auch noch etwas zu früh für so ein Outfit. Ich fröstle im kühlen Luftzug, der durch ein gesprungenes Fenster ins Klassenzimmer dringt. Ich hätte wohl doch Jeans anziehen sollen, so wie immer.
»Katie und ich überlegen, ob wir aus dem Programm aussteigen«, erzählt mir Elena, als wir uns später am Nachmittag nach dem Sport umziehen. »Hier ist es irgendwie zu traurig. Es passieren zu schlimme Dinge.«
»Echt?«, frage ich. »Habt ihr es denn schon Madame Cuchon gesagt?«
»Noch nicht«, antwortet Katie. »Ich habe ein bisschen Angst davor. In letzter Zeit wirkt sie irgendwie so zerbrechlich. Es fühlt sich so an, als würde das ganze Programm auseinanderbrechen.«
»Würdest du denn aus dem Programm aussteigen?«, will Elena von mir wissen. Elena, ein recht kleines, hübsches Mädchen aus einem reichen Vorort von Chicago, hat schon immer ziemlich großes Interesse an mir gehabt. Sie ist geradezu versessen auf Klatsch-und-Tratsch-Geschichten aus der Promi-Welt, und es versüßt ihr total den Tag, wenn sie von den Fotoshootings hört, die meine Mom für die Titelseite von Luxe arrangiert. Während ich meine Strumpfhose über die Beine streife und unter meinem Kleid hochziehe, denke ich über ihre Frage nach. Ich könnte ihr von all den Sachen berichten, die ich auf mich genommen habe, nur um in diesem blöden Programm zu bleiben, aber das würde den ganzen Nachmittag beanspruchen und ich muss noch woanders hin.
»Nie«, sage ich ihr und kämme vor dem Spiegel meinen Pony. »Ich würde Paris niemals freiwillig verlassen.«
* * *
An diesem Nachmittag treffe ich etwas zu früh bei den Sanxays ein. Bevor ich die Wohnungstür aufschließe, halte ich kurz inne und lausche. Es klingt so, als würden alle Kinder weinen. Aber das ist ja nichts Neues.
Als ich die Eingangsdiele betrete, erwarte ich halb, dass Mme Sanxay dort schon bereitsteht, um so schnell wie möglich entfliehen zu können. Zu meiner Überraschung finde ich sie aber im Wohnzimmer, wo sie ein Seidentuch in der Hand hält. »Alex!«, schreit sie. »Wusstest du irgendwas davon?«
Sie streckt mir anklagend ihre Hände entgegen, und das Tuch flattert in mehreren Einzelteilen zu Boden. Ich gehe ein paar Schritte darauf zu und inspiziere das zerschnittene Tuch. »Was ist denn passiert? War das nicht ein Louis Vuitton?«
Darauf heult Mme Sanxay nur laut auf. Wahrscheinlich war sie es, die ich durch die Tür habe weinen hören, wie mir klar wird. »Hey. Hey! Was ist denn passiert?«
»Emeline. Dieses schreckliche enfant. Sie hat mein Tuch zerschnitten, nachdem ich ihr gesagt habe, dass sie nicht damit spielen darf... Ich habe es gerade im Bad unter dem Waschbecken gefunden.«
Ich greife mir entsetzt in den Nacken, als ich mir vorstelle, wie es gewesen sein muss, das Tuch so vorzufinden. »Nein!«
»Doch!«
»Warum hat sie das gemacht?«
»Parce que je ne l'aime pas!«, kreischt Emeline aus dem Flur, wo sie ausgestreckt auf dem Läufer liegt und heult. Vor Schreck bekomme ich fast einen Herzinfarkt, weil ich sie dort noch gar nicht bemerkt habe.
»Emeline!«, sage ich japsend. »Warum hast du denn das Tuch deiner Mutter zerschnitten?«
Emeline springt auf, rennt zu mir und drückt ihr Gesicht an meine Taille. Sie weint und weint. Mme Sanxay kreischt wieder schrill auf, ein weiterer wortloser Schmerzenslaut.
»Halte sie von mir fern!«, brüllt sie, während sie sich ihren Mantel schnappt. »Halte sie fern von meinen Sachen!«
Die Tür klappert noch eine geschlagene Minute lang im Rahmen, nachdem sie sie laut zugeschlagen hat. Ich knie mich vor Emeline und tätschle ihr sanft die dünnen Haare. »Alles okay?«, frage ich.
Emeline schüttelt den Kopf. »Ich hasse Maman«, sagt sie
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