Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
gedacht. Sie weiß nicht, wie sehr wir lieben uns!«
Ich schlucke schwer. »Uns lieben? Ich dachte, du hättest dich entliebt ... weil ich keine Blumen-T-Shirts mehr getragen habe.«
Thomas schüttelt heftig den Kopf und legt ihn dann in meinen Schoß. »In dieser Nacht«, sagt er und seine Worte dringen nur gedämpft zu mir, weil er sie in meinen Schoß spricht, »bin ich bewusst mir geworden, wie sehr ich vermisse dich. Bitte nimm mich zurück, Olivia!«
Ich schiebe ihn von mir. »Thomas, du nimmst mich doch auf den Arm!« Es schockt mich, diese Worte aus meinem Mund zu hören, obwohl er gerade genau das ausgesprochen hat, nach dem ich mich vor einem Monat noch so sehr gesehnt habe.
»Warum?«, fragt er mich. »Du könntest mit mir hier im Studentenwohnheim wohnen und wir könnten von vorn noch mal anfangen. Wäre das nicht schön? Das ist es, was ich will. Bitte nimm mich, Olivia.« Wie er jetzt auf dem Boden sitzt, alle Glieder in eine andere Richtung gestreckt, das Gesicht schamerfüllt, kommt er mir wie jemand vor, den ich mal vor langer Zeit kannte. Vertraut, aber mehr nicht. Da ist keine Leidenschaft mehr, kein Drängen. Thomas versucht, sich über sein Leben klar zu werden, noch immer unsicher, was er wirklich will. Ich glaube ihm nicht mal, dass er das tatsächlich will - mich, die Beziehung, um die er gerade fleht.
Ich hole ganz tief Luft.
»Thomas, ich glaube, wir hatten etwas ganz Großes zusammen«, sage ich. »Ich werde immer gern an unsere Zeit zusammen denken. Aber wir wissen beide, dass wir nicht die Richtigen füreinander sind. Ich habe eine Weile gebraucht, um das so klar zu erkennen wie du, aber jetzt habe ich es verstanden.«
»Das war ein Fehler, Olivia! Einer, den ich werde bereuen ewig«, entgegnet Thomas. »Bitte gib uns eine zweite Chance.«
»Das war kein Fehler«, sage ich. »Ich wusste nicht, wer ich war und habe ein neues Ich ausprobiert. Ich meine, ich bin ja noch immer nicht ganz sicher, wer ich bin, aber ich weiß, dass ich auf dem Weg bin, es herauszufinden.«
Thomas sieht jetzt vollends durcheinander aus. Ich frage mich, ob das an der Sprachbarriere liegt oder nur an der bloßen Tatsache, dass ich ihn abgewiesen habe. Er hat verwirrt die Augenbrauen hochgezogen, fast ganz hinauf bis zu den Locken auf seiner Stirn. Seine grünen Augen blicken mich hoffnungsvoll an.
»Es tut mir leid, Thomas«, sage ich, winde mich vom Bett und gehe zur Tür. »Ich muss los. Bon après-midi, okay?«
Thomas sieht so aus, als wäre er am Boden zerstört, als ich gehe, aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl, dass es ihm bald wieder besser gehen wird.
Tief sauge ich die frische Frühlingsluft in meine Lungen und gehe eilig zum Puppentheater im Jardin du Luxembourg, um dort Alex, Zack und die Kids zu treffen. Im Gehen kribbelt meine Wirbelsäule und ich fühle mich irgendwie größer, so als wäre mir eine schwere Last von den Schultern genommen. Ich betrachte die Pariser Gebäude ringsherum und nehme bewusst den Geruch dieser Stadt in mich auf. Meiner Stadt.
* * *
Am Samstagmorgen treffen Alex und ich Zack vor der Metro- Station und wir machen uns gemeinsam auf den Weg zum Zulassungstest-Zentrum im 9. Arrondissement. Alle Schüler aus dem »Programme Américain« sind gekommen.
Als ich den Matheteil in der zweiten Hälfte des Tests löse, bin ich bei der dritten Aufgabe am Ende mit meinem Latein. Ich lese sie mir mehrmals durch und blicke mich im Raum um, so als könnte ich wie durch Osmose den versäumten Lehrstoff nachholen. Die Aufsichtsperson wirft mir einen strengen Blick zu. Rasch schaue ich wieder auf mein Pult hinunter und werde rot.
Während der Test-Pause kommt PJ auf mich zu. Ich habe sie frühmorgens gar nicht ins Testzentrum kommen sehen.
»Hey!«, sage ich und umarme sie. Sie fühlt sich noch immer viel zu dünn an. Auch steif. Ob sie genug zu essen bekommt und sich wohlfühlt? »Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bin ich überglücklich. Gott sei Dank bist du okay.«
»Livvy«, stößt PJ hervor. »Ich wollte dir sagen, dass es mir so leidtut, was du meinetwegen in diesem Jahr alles durchmachen musstest. Ich weiß, dass ich viele Geheimnisse vor dir hatte. Ich bin ... ich bin keine sehr gute Freundin. Ich habe überall um mich herum so viel Unheil angerichtet.«
Tröstend streiche ich ihr über den Arm. Sie klingt so niedergeschlagen und verzweifelt. »PJ, das musst du doch nicht sagen. Jeder hat seine Geheimnisse. Wir haben uns nur Sorgen um dich gemacht. Wir freuen
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